Eine Erinnerung an Alexander Gies

 

Der PEN war Brücke und Beziehungsebene. In den Jahren seiner Präsidentschaft gehörte ich so wie schon viele Jahre vorher und noch kurz danach dem Vorstand des Österreichischen PEN an; insgesamt etwa zwanzig Jahre lang. Wir respektierten und verstanden einander, kooperierten in manchem auch ganz gut, vor allem was die internationale Agenda betraf. Ich hatte ja meine Kontakte, vor allem zum jugoslawischen Raum. Eingeweiht und zugelassen in das innerste (Macht) Zentrum wurde ich allerdings nie, ich wollte das auch nicht. Stets war ich in einer gewissen Opposition zur Führung des Österreichischen PEN; und das hatte seine Gründe. Im Lauf der Jahre entwickelte sich zwischen Giese und mir sogar ein freundschaftliches Verhältnis. Dazu trugen gemeinsame Aufenthalte bei PEN-Kongressen und PEN-Konferenzen auf internationaler Ebene bei. An ein solches Zusammensein in Bled und in Prag sowie in Dubrovnik und auf der Insel Hvar erinnere ich mich besonders gut und auch gern. Beim PEN-Welt-Kongreß 1992 in Dubrovnik, der aus Sicherheitsgründen (Jugoslawienkrieg) auch auf der Insel Hvar stattfand, war es aber auch, daß eine Initiative von mir die auch von Giese so gern angestrebte Harmonie störte; seither war eine zwar nicht sichtbare, jedoch spürbare Barriere zwischen uns. Ich hatte mir nämlich erlaubt, mit dem Gerede von Führungsfunktionären des Internationalen PEN zum Jugoslawienkrieg und der für den PEN geforderten „Äquidistanz“ zu beiden Kriegsparteien (Serben/Kroaten) und der proklamierten Neutralität nicht einverstanden zu sein. Mit meiner Meinung und Haltung, daß es selbstverständlich einen zu benennenden Aggressor (Serbien) gäbe, stand ich nicht allein da. Ich empfand die sogenannte Diplomatie des International PEN nicht nur als beschämend, sondern auch als Feigheit und als einen Affront. Ich wollte das nicht widerspruchslos und widerstandslos hinnehmen. Und so startete ich die Initiative für eine Gegenoffensive. Und das, so meinte Giese, hätte ich auf keinen Fall tun dürfen. Ich hole aber bei solchen Angelegenheiten keine Erlaubnis ein, sondern begreife mich als souveräne, selbstverantwortliche Persönlichkeit. Ich suchte noch ein paar Gleichgesinnte, versicherte mich ihrer Unterstützung und verfaßte zusammen mit meinem burgenländischkroatischen Freund Petar/Peter Tyran eine Resolution, in der ich mich von der vom Internationalen PEN angenommenen Resolution über die „Nichteinmischung in regionale Angelegenheiten“ distanzierte und auf die – auch politische – Verantwortung des Schriftstellers hinwies und diese einforderte. Die Pressekonferenz mit Verlesung unserer Resolution organisierten wir im Speisesaal eines Hotels. Unsere Ausführungen hielten wir auf Deutsch, Englisch und in Serbokroatisch. Viele KollegInnen aus anderen PEN-Zentren waren anwesend, ebenso Journalisten. Den Mitgliedern der österreichischen PEN-Delegation gab ich vorher die Möglichkeit, unsere „Resolution“ zu unterschreiben, manche taten dies auch, Präsident Giese lehnte empört ab. Seiner Meinung nach hatten wir nicht das Recht, unsere oppositionelle Meinung öffentlich kundzutun. Ich fand eine solche Einstellung nicht kompatibel mit der PEN-Charta, welche die Mitglieder des PEN verpflichtet, für die freie Meinungsäußerung einzutreten und zu kämpfen.

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Peter Paul Wiplinger bei der Internationalen PEN-Konferenz, Warschau 1999

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.

Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.