Eine Erinnerung an Erwin Ringel

 

„Servus, Franz!“, sagte ich, nachdem mich meine Lebensgefährtin Susanne mit „Der Ringel ist am Apparat“ ans Telefon gerufen hatte. Ich dachte, der Maler Franz Ringel sei es und wunderte mich noch, warum der bei mir anrufen sollte, obwohl wir einander kennen. Das war im Dezember 1987 am Abend der Eröffnung des „Gemeinschaftsateliers Oman-Wiplinger“ in der Rasumofskygasse 22, im dritten Bezirk in Wien. „Ich bin nicht der Franz, ich bin der Erwin Ringel, aber du kannst auch ruhig du zu mir sagen“, hörte ich es aus dem Telefon. „Du, ich danke Dir für die Einladung zur Eröffnung eures Ateliers, das ist sicher eine gute Sache, aber ich muß mich entschuldigen, du weißt schon… Aber das nächste Mal gehen wir (ja, „gehen“, sagte er) mit dem Matejka miteinander am 8. Mai zur Befreiungsfeier nach Mauthausen“, fügte er noch hinzu. Ich war perplex, stammelte nur „Ja, gerne!“ und „Auf Wiedersehen!“ Dann ging ich zur Veranstaltung zurück. Wir sind nie miteinander nach Mauthausen „gegangen“. Es hat sich nicht ergeben. Der Professor Dr. Ringel kannte mich, er hatte meinen Fotogedichtband „Farbenlehre“, in dem der Hauptteil das ehemalige KZ Mauthausen Gegenstand von Text und Bild war. Vielleicht schätzte er mich deswegen. Jedenfalls hat er dann für den nächsten Fotogedichtband „Bildersprache“ ein kurzes, mich überaus lobendes Vorwort geschrieben. Das nächste Mal rief er mich an, als ich im Atelier am Modenapark war, im 8. Stock oben. Ich hatte mich an ihn gewandt, weil ich da oben wieder an unerträglicher Höhenangst litt. Dieses Symptom hatte ich seit der Todesnachricht meines 1949 in den Lienzer Dolomiten tödlich verunglückten Bruders Josef. „Also, der Wiplinger hat wieder einmal Probleme“, begann er. „Aber das wundert mich ja nicht. Zuerst ist er im Keller und dann im Turm, immer ist er im Extrem, er ist eben ein Extremer!“ So sprach er zu mir in der dritten Person, als ob er mir von jemand anderem erzählte. „Aber das alles kann man therapieren“, meinte er. „Hast was dagegen, wenn das meine Frau macht?“ fragte er. „Ich brauch keine Therapie, Herr Professor!“ sagte ich. „Ich brauch ein Attest bezüglich meiner Höhenangst; ich muß aus dem Atelier, in das ich viel Geld investiert habe, das aber der Gemeinde Wien gehört, wieder raus“, erklärte ich. „Ich werde schauen, was ich tun kann“, versprach er. „Aber gscheiter wär’s schon, wennst das therapieren lassen würdest, denn da hast schon ein Trauma als Kind bekommen, das weißt schon“, sagte er noch. Dann beendeten wir das Gespräch. Die Angelegenheit löste ich nach vielen Bemühungen, auch bei den sturen Leuten der Gemeinde Wien, dann selbst. Ich übersiedelte in eine im 1. Stock gelegene Hinterhofwohnung, wo ich heute noch bin. Der Franz Ringel aber hatte recht mit dem Trauma, dessen Symptome ich auf verschiedene Art bis heute manchmal noch spüre. Ich hatte vorher schon sein Buch „Die österreichische Seele“ (1984) gelesen und las später dann noch „Die Kärntner Seele“ (1988) mit zustimmender Begeisterung. Als ich von seinem plötzlichen Tod hörte, war ich tief betroffen und erinnerte mich zugleich an den Satz von ihm: „Du, das nächste Mal gehen wir mit dem Matejka gemeinsam nach Mauthausen.“

 

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.