Abdriften, um zum Spiel zu finden

 

Jedes Mal, wenn die Freunde beisammen sitzen, einige Gläser Wein konsumieren und vor allem gut speisen, vielleicht der Anregung geschuldet, sicherlich aber des Genusses wegen, wird sich ein Disput ergeben. Mal über Themen, zuweilen aber auch Worte und ihre Bedeutungen. Denn viele sind ja bekanntlich semantisch so aufgeladen, dass vor dem eigentlichen Thema zunächst geklärt werden muss, in welcher Weise das Wort zum Begriff wird, wie es genutzt werden darf. Das mag dem Außenstehenden ein Stück weit lächerlich wirken, vor allem aber lästig. Und trotzdem ist den drei Freunden genau dies ein grundlegend wichtiges Spiel. Wenn man so will, die Grundlage des handelnden Denkens, des Gesprächs. Garniert mit passenden Zitaten und Verweisen durchaus auch ein ästhetisches Bedürfnis. Warum sollte man Karten auf den Tisch hauen, wenn man auch Metaspiele spielen kann?

Herr Nipp hatte einen Onkel, der ihm an langen Abenden auf dem Balkon diese Technik des Hinterfragens beigebracht und sie mit ihm durchexerziert hat. Dazu gab es damals, schließlich hatte Herr Nipp ein bestimmtes, hier nicht näher bezeichnetes Alter erreicht, dann ein Gläschen Südtiroler Wein. Vor allem die abstrakten Wörter waren dabei spannend. Durch die theologisch-philosophische Bildung des Onkels wurden diese Abende oft zu Spielen der Bedeutungslehre, manchmal auch der leicht gemeinen eristischen Dialektik und manchmal konnte unser kleiner Nipp auch einen Blick in die Welt der abgrundtiefen Rabulistik werfen. Fasziniert. Annehmend. Allerdings ergab sich daraus, dass er im Nachhinein viele Kindheitsfreunde verlor, denn die hielten nicht viel von solchen Spielen und ihn für einen enervierenden Besserwisser.

Heute ist das anders, gerade dieses Spielen, sprachliche Meditieren und Lavieren führt die drei Freunde zusammen. Sie erfinden und finden gleichzeitig, werfen einander augenzwinkernd um und gleichzeitig die Bälle zu, spielen sich aus, nicht aber boshaft, sondern interessiert daran, wie der Andere die Zwickmühle argumentativ durchbricht oder noch besser zur Brücke werden lässt. Im Bewusstsein, ein Spiel zu spielen und dieses gleichzeitig zu reflektieren und hinterfragen, so werden die gespielten Spiele zu den maßgeblichen Werten des Mit- nicht Gegeneinanders. Wer kann schon solche Freunde sein Eigen nennen. Tunguska!

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421