Das Werk von Meredith Monk ist wegweisend für die Performance- und Vokalkunst. Diese Artistin lotet die Grenzen der menschlichen Stimme aus, um eine universelle, emotionale und archetypische Ausdrucksform zu schaffen.
Luther Blissett
Die menschliche Stimme ist das älteste „Musikinstrument“ der Menschheit. Jeder Mensch besitzt dieses „Instrument“ von Geburt an. Es begleitet sie unser ganzes Leben lang, vom ersten Schrei bis zum Tod. Jede Stimme ist einzigartig wie ein Fingerabdruck, geformt durch die individuelle Anatomie von Kehlkopf, Stimmlippen, Resonanzräumen und sogar Hormonen. Die Stimme kann Emotionen, Alter, Geschlecht und sogar die Stimmung des Sprechers übermitteln, was sie zu einem unglaublich vielseitigen Werkzeug für Kommunikation und Darstellung macht. Gesang gehört zu den ältesten Formen der Musik und existiert in jeder bekannten menschlichen Kultur. Variationen in Tonhöhe, Volumen und Klangfarbe wurden wahrscheinlich schon immer genutzt, um Zuhörer zu fesseln, zu täuschen (z. B. bei der Imitation von Tierstimmen in der Jagd) oder in Trance zu versetzen (z.B. in rituellen Kontexten).
Man ist augenblicklich in eine Klangwelt versetzt, in der die Zeit nicht unbarmherzig voranschreitet, sondern im ewigen Augenblick zu verharren scheint.
Andreas Kolb
Meredith Monk ist eine Künstlerin, die es dem Zuhörer überlässt, Assoziationen zu bilden. Ihre Musik existiert oft „zwischen den Noten“, und die Bedeutung entsteht durch die emotionale und körperliche Erfahrung des Klangs, nicht durch eine festgelegte narrative oder sprachliche Botschaft. Ihr Werk Our Lady of the Lake von Meredith Monk hat eine zentrale Bedeutung als eine Studie über die menschliche Stimme als reines, ursprüngliches Ausdrucksinstrument. Es zielt darauf ab, die Stimme von kulturellen und gesellschaftlichen Konventionen zu befreien, die unsere Kommunikation maskieren. Diese Artistin erforscht die natürliche Stimme. Mit Our Lady of the Lake konzentriert sie sich auf die nicht-sprachlichen Ebenen der Vokalisation, auf Klänge und die Materialität der Stimmen. Sie betont eine vorkulturelle Qualität der Stimme, die Emotionen und Energien jenseits der verbalen Bedeutung hervorruft. Monk nutzt in diesem 16-teiligen Werk, das 1972 komponiert wurde, verschiedene „erweiterte Gesangstechniken“ (extended vocal techniques). Die Darstellerin (oft Monk selbst) erforscht ein vielfältiges Vokabular an Klängen und performativen Zuständen, die von Ululationen bis hin zu gehauchten Lauten reichen. In der ursprünglichen Solo-Performance wird die Stimme lediglich von einem gestrichenen Weinglas begleitet. Die Interferenzmuster (Schwebungen, beats) zwischen der Stimme und dem Glas erzeugen rhythmische Impulse und unterstreichen die Konzentration auf reine Klangqualität. Dieses Werk ist ein Kompendium weiblicher Erfahrungen, das von Geburt über Mutterschaft und schamanistische Ekstase bis hin zu Trauer und Tod reicht. Die Klänge reichen tief und sprechen den Zuhörer auf einer Ebene jenseits der Intellektualisierung an.
Die menschliche Stimme ist das erste Instrument. Sie ist die direkte Verbindung zu den tiefsten Energien und Gefühlen, für die wir keine Worte haben.
Meredith Monk
„Dolmen Music“ ist ein wegweisendes Werk ist, das die menschliche Stimme als primäres, körperliches und emotionales Instrument in den Mittelpunkt stellt, eine Musik erforscht, die tief in der menschlichen Erfahrung verwurzelt ist und über kulturelle und zeitliche Grenzen hinauswirkt. Die Bedeutung dieses Album liegt in der Erweiterung der Möglichkeiten der menschlichen Stimme und der Schaffung einer einzigartigen, zeitlosen Klanglandschaft.
Meredith Monk nutzt sie ihre eigene Stimme, sowie die Stimmen ihres Ensembles auf innovative Weise, um ein breites Spektrum an Lauten zu erzeugen – von Gurren und Gurgeln über tierähnliche Laute bis hin zu opernhaftem Gesang und Stammesschreien. Diese Techniken erweitern die emotionale Ausdruckskraft der Musik jenseits der Grenzen traditioneller Worte. Die Musik klingt auf diesem Album klingt gleichzeitig archaisch und futuristisch. Monk selbst strebte ein „zirkuläres Zeitgefühl“ an, das sich von linearen westlichen Vorstellungen abhebt. Das Ergebnis ist eine Art „Volksmusik für die ganze Welt“, die universelle menschliche Gefühle anspricht, für die es oft keine Worte gibt. Das Werk ist ein Paradebeispiel für Monks Praxis, verschiedene Kunstformen – Musik, Tanz, Theater und Film – zu einem ganzheitlichen Erlebnis zu verbinden. Die Stücke auf dem Album entstanden oft aus Proben für größere Bühnenwerke. Der Titel „Dolmen Music“ bezieht sich auf prähistorische Megalithstrukturen (Dolmen), die mysteriös und voller Energie wirken. Monk war fasziniert von der Idee, Musik zu schaffen, die diese uralte, greifbare Energie heraufbeschwört und sie in einen zeitgenössischen Kontext stellt.
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Our Lady of the Lake von Meredith Monk, 1973
Dolmen Music von Meredith Monk, 1981

Weiterführend → Im typischen Gestus junger Dichter hasste Arthur Rimbaud die kleinbürgerliche Enge seiner Vaterstadt, was z. B. in dem satirischen Gedicht À la musique (An die Musik) zum Ausdruck kommt, er ist der erste Rockstar der Poesie. Dichter wie der Dub-Poet Linton Kwesi Johnson, der Punk-Poet John Cooper Clarke, der Lo-Fi-Poet Dan Treacy, der Spät-Expressionist Peter Hein, der Lizard-King Jim Morrison und die Grandma des Punk Patti Smith nutzten Musik als Transportmittel für ihre Lyrics. Eine Schwester im Geiste ist Laurie Anderson, auch sie sie begann in den 1970er Jahren in New York ihre Laufbahn als Performancekünstlerin zwischen Body Art und autobiographischer Kunst.Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet Zappas Mothers of Invention als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bleys Escalator Over The Hill einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Die Komponistin führt uns vor Ohren, dass Improvisation ein gesellschaftspolitisches Idealmodell ist.