Maximen und Reflexionen

 

„Mir ist ein neuer Ausdruck eingefallen, der das Verhältnis nicht übel bezeichnet. Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist.“

Johann Wolfgang Goethe

 

Coverphoto: Anja Roth

Die von A.J. Weigoni angeregte Gossenheftreihe ist pures eskapistisches Entertain­ment, sie ist aber auch, was man nicht sofort wahrhaben will, eine subtile Zeit-Diagnose der eigenen Post-Historie, sie zeigt auf, wie mit Leseerwartungen und Genrekonventionen äußerst produktiv und ästhetisch anspruchsvoll umgegangen werden kann – und daß es möglich ist, unter dem gleichen Oberbegriff Massen- und Trivialliteratur ebenso wie Avantgarde zu verhandeln. In dieser Werkstatt für potenzielle Literatur herrschte die notwendige definitorische Offenheit von Trash und ein extensiver Begriff des Übrigen zwischen Körper und Zeichen. Der Kriminalist, verkleidet sich als Poststrukturalist. Diese nonkonformistischen Autoren remixten bespielsweise William S. Burroughs, Hanns Heinz Ewers oder Raymond Chandler und verschnitten sie mit postmoderner Theorie, popkulturellen Referenzen und Outlaw-Romantik und destillierten knallharte, dystopische Trivialmythen daraus. Wer neugierig auf bizarre, wilde, schlicht wundersame Literatur ist, kann jenseits kleinbürgerlicher Qualitätsvorstellungen die schönsten Entdeckungen machen, die das nach Abfallprodukt riechende Siegel Trash die „Ästhetisierung des Hässlichen“ nur unzulänglich beschreibt. Man lernt von ihnen, daß Häßlichkeit auch Freiheit und Spielraum bietet: für eine höhere Art von Unschuld. Ihr Schund-Begriff betreibt an der Oberfläche und im Abseitigen Daseinsanalyse ganz ohne eine Inventur der Verluste oder übliche Klagen um einen kulturellen Verfall. Diese Autoren analysieren lakonisch und kühl, und ihre ernsthafte Verspieltheit erinnert den zuweilen an Pater Sloterdijk. Die Tatsache, daß ein Charakteristikum des Groschenromans in der Variation mehr oder weniger festgelegter Elemente liegt, verleiht dieser Gossenheftreihe das hohe ästhetische Niveau. Diese Reihe hält uns den Spiegel vor, sie zeigt unsere eigenen verdrängten Gelüste und eine Schmud­del­va­ri­ante unserer Welt des neolibe­ralen, rasenden Still­stands.

 

 

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Jaguar, Neo-Noir-Novelle von A.J. Weigoni, Krash-Verlag 1989

Weigoni-Porträt: Anja Roth

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In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon.