DEICH

 

 

durchbrach wasser den deich und überschwemmte land

befestigten bauern notdürftig den wall kam erneut die flut

das reißende gewässer wurde ein kind das die mutter hergab

für geld in die brüchige stelle gelegt die man zuschüttete

 mit erde aus der es stammte schützte mütterlich der damm

 die weiden felder häuser und scheunen glaubten die bewohner

 alles sei wieder in gewohnter ordnung lief allein die mutter

 tag und nacht auf dem deich entlang schrie nach ihrem kind

 warf münzen in den fluß und stürzte sich am ende selbst hinein

 danach hatte die gemeinschaft ruhe nur der geist der toten

 ging weiter auf dem damm umher in nächten

 wo ein kalter mond über die menschen wacht

 

* * *

Gedichte nach Sagen aus Börde und Altmark, von Holger Benkel, 2024

Wilhelm and Jacob Grimm, 1847; daguerreotype von Hermann Blow

Weiterführend

Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Was den Rezensionsessays von Holger Benkel die Überzeugungskraft verleiht, ist die philosophische Anstrengung, denen er sein Material unterwirft.

Holger Benkels Gedanken, die um Ecken biegen gehen weiter als der geschriebene Text; sie sind kein Ende, sondern ein Anfang. Sie versuchen, diesen kleinen Rest an Sprache etwas aufzuhellen, und wagen es seine Ränder verstehbar zu machen.

Holger Benkel beweist als Lyriker in seinem Band Seelenland ein Gespür für das Unvertraute im Vertrauten, das Unheimliche des Alltäglichen, das Scheinhafte des Realen.

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