Offener Brief

Oh, wie beglückt ist doch ein Mann, / Wenn er Gedichte machen kann!

Wilhelm Busch

Vorbemerkung der Redaktion: KUNO widmet dem Gedicht auch in diesem Jahr den genauen Blick, das aufmerksame, geduldige, ins Denken gedrehte Lesen und Wiederlesen, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Der offene Brief wurde von Walther Stonet an den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. adressiert:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Döpfner,

vor fast genau zehn Jahren, im Jahr 2007, hat der Unterzeichner mit dem Essay „Der Dichtung eine Bresche schlagen – Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört“ dazu aufgefordert, der heutigen Poesie wieder einen Platz in den Feuilletons deutscher Zeitungen, Magazine und Zeitschriften zu geben – wie dies früher üblich war. Es gehört zur Verantwortung des Verlegers, nicht nur kommerzielle Erwägungen als Leitlinien für die Geschäftspolitik heranzuziehen; die Förderung von Kunst und Literatur gehörte immer dazu.

Nun ist es müßig, wenn in solchen Fällen auf die inhaltliche Zuständigkeit von Herausgeber und Redaktion zu verweisen. Der Platz in einer Ausgabe war und ist rar. Und natürlich führt die Veränderung des Werbe- und Anzeigenmarktes zu einer Ausdünnung der Ausgaben – das rare Platz wird weniger.

Am Ende dreht sich um die Frage der Prioritäten. Literatur, insbesondere ihre verdichtetste Form, die Lyrik, ist immer ein guter Gradmesser für gesellschaftliche Befindlichkeiten. Es ist daher eine große Verarmung, wenn eine Öffentlichkeit, und das im Lande der Dichter und Denker, in ihrer Breite so gut wie gar nicht für die aktuelle Poesie interessiert. Nun kann man sage, sie taugte nichts. Aber das ist zu einfach. Was man nicht kennt, kann man nicht bewerten. Ohne Vermittlung, und da sind wir bei der oben beschriebenen Kernaufgabe der Presse, sei es als Print oder Online Produkt, kann Dichtung nicht breiteren Schichten vermittelt werden.

Es ist ein Armutszeugnis, wenn wir heute in Buchhandlungen neben den Bestsellern nur noch die Klassik vorfinden: Goethe, Schiller, ein bisschen Hesse und ein wenig Rilke. Die aktuelle, die moderne Lyrik findet de facto nicht statt. Ein Buchhändler verkauft, was man bei ihm nachfragt. Nachfragen kann man nur, wenn man weiß, dass es etwas gibt. So schließt sich der Kreis.

Es war einmal gute Tradition, in jeder Ausgabe eines Feuilleton wenigstens ein Gedicht einer aktuellen Poetin oder eines jungen Poeten zu präsentieren, meist mit einem kleinen Rahmen darum und dem Verweis auf den Band, in dem das Werk erschien. Im Feuilleton selbst wurde nicht nur Belletristik und Sachbuch besprochen, es gab auch immer wenigstens einen Gedichtband. Es gibt keinen wirklichen Grund, an dieser Tradition nicht wieder anzuknüpfen.

Wir haben uns die Freiheit genommen, mit dem heutigen Tag eine Petition an Sie zu veröffentlichen. Ab heute kann unterschrieben werden. Es würde uns freuen, wenn Sie selbst dieser Petition mit Ihrer Unterschrift Nachdruck verleihen und mit den Organen Ihres Verlagshauses vorangeben würden. Die deutschsprachige Poesie und die vielen, die sich ihr verschrieben haben, werden es Ihnen danken.

Es liegt an Ihnen und den Verlegern aus Ihrem Verband, dieser Idee den nötigen Rückenwind zu geben. Sie würden der modernen deutschen Lyrik einen großen Dienst erweisen und zeigen, dass es bei Ihren Presseobjekten um mehr geht als um Geschäftsinteressen. Kultur braucht Förderer. Die junge und die aktuelle deutschsprachige Poesie hätten Ihre Förderung verdient.

Ich freue mich Ihre Nachricht und wünsche Ihnen und uns, dass im Land der Dichter und Denker die Lyrik wieder die Rolle erhält, die sie verdient. Die Dichter schreiben, die vielen engagierten Kleinverlage machen wunderbare Bücher. Wenn Sie mithelfen und dieses wichtige Anliegen, werden wir alle davon einen Nutzen haben: Dichter, Denker, Verleger, Leser – und die deutsche Literatur.

Mit herzlichen Grüßen, Walther Stonet

 

 

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Porträt Walter Stonet von Thomas Kiel

Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten – wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist. Walther Stonet war Lyrikredakteur und Rezensent der Literaturzeitschrift Asphaltspuren von 2003 bis 2015 (23 Ausgaben). Seit 2008 ist er Herausgeber der Reihe „Walthers Anthologie der Internet-Lyrik“. Inzwischen sind fast 50 Gedichte besprochen. Seit August 2015 fungiert er als Herausgeber von „zugetextet.com – Feuilleton für Poesie-Sprache-Streit-Kultur“, einem Magazin-Blog neuen Stils.