Hungertuch 2017, Sparte Literatur für Stan Lafleur

 

Stan Lafleur ist durch seine Arbeit als Lyriker, Spoken-Word-Performer, Herausgeber des Little Mag.‘s „Elektropansen“ und Initiator der Kölner Sprechecke und vieler anderer Projekte in Köln seit den 1990er Jahren weithin bekannt.

Seit 2009 widmet er sich verstärkt seinem Blog rheinsein.de, einem gigantischen Netzprojekt, das eine wahre Fundgrube kulturhistorischer, ästhetischer, poetischer und lexikographischer Einträge rund um den Fluss, der einstmals Deutschlands Grenze war und heute doch unbestritten „Deutschlands Strom“ ist, um Ernst Moritz Arndts markig-nationalistische Phrase, einen regelrechten Refrain der Rheindebatte im 19. Jahrhundert, hier unter freundlicheren Vorzeichen wieder aufzuwärmen.

Lafleur dagegen fasziniert am Rhein  die Vielfalt der Landschaften, die Vieltönigkeit der Zungen und die Vielfarbigkeit alter Fabeln und Mythen sowie die Geschichte selbst, die doch so eng mit dem Schicksal des gesamten Landes verquickt ist – ja, Rheinromantik, mittelalterliche Burgen, und zugleich politische Symbollandschaft mit protzigen Denkmälern und Festungsbauten, die ganz bewusst in der Konfrontation mit dem damaligen „Erzfeind“ zu einem Signal nationaler Einheit und Wehrhaftigkeit aufgepimpt wurde, und von daher zumeist nicht frei ist von martialischem Geist und nationalistischem Kitsch.

rheinsein dagegen zeigt den Fluss und die daran liegenden Landstriche in ihrer Eigenheit, identifiziert sie nicht anhand irgendwelcher nationalistischer Leitlinien, sondern in ihrer Originalität an und für sich.

Ist er hier Geograph, Historiograph, literarischer Anthro- und Ethnologe, ist Lafleur in seiner Eigenschaft als Lyriker ein poetischer Prosaiker, ein Dichter des Alltäglichen, des Basalen und Faktischen. Die Lyrik wird hier ganz vom hohen Kothurn befreit, der Lorbeer zerfleddert, hermetische Verrätselung ist Lafleurs Ding nicht.

Seine Gedichte sprechen über die Unmittelbarkeit der Erfahrung, man nehme zum Beispiel das in den 1990er Jahren fast zum Gassenhauer mutierte Gedicht Bei Murat.

Per Reim und Versmaß wird hier ein regelrechtes Liebeslied entworfen, dessen klassisches Thema, die „hohe“, die unerfüllte Liebe, durch den äußerst trivialen Anlass, das Döner-Essen beim Türken, in die Niederungen unmittelbaren Alltagserlebens herabgerissen wird.  Eine urbane Selbstverständlichkeit, die Zwischen- oder Hauptmahlzeit in einer Döner-Bude („Bei Murat“ gab es übrigens wirklich in der Kölner Händelstraße), wird hier zur magischen Initiation, ein Liebeszauber aus der plumpesten Banalität heraus.

Nun ist es nicht immer so, dass Lafleur den schnöden Alltag poetisch überhöht, besonders in den frühen Gedichten wurde dieser Alltag in seiner ganzen Prosaik beschrieben, ungeschönt und hart wie in seinen „Kampfhundgedichten“.

Gerade der Tristesse, der Hypernormalität, dem provinziellen Einerlei gewinnt Lafleur eine ebenso ironisch-kritische wie sympathetische Note ab, die für seine poetische Wahrnehmung typisch ist, wie z.B. in seinem Fußballgedicht: Die Ballade von der Kreisliga B.

So lustig das ist, es ist auch klar, dass solche Texte am Literaturbetrieb vorbeigeschrieben sind. Man mag sich fragen: Warum macht der Dichter Stan Lafleur das so? Warum wählt er solche Themen, mit denen er kaum die notorisch-feinnervigen Mitglieder von Literaturpreis-und Stipendien-Jurys wird überzeugen können? Warum schreibt er in dieser zupackenden, aber oft kolloquialen Sprache, die ihn so deutlich absetzen von den trendsetzenden Berliner Lyrikern etwa des kookbooks-Verlags, die zwar auch keine Reichtümer horten, dennoch ein immenses symbolisches Kapital anhäufen?

Die Antwort ist einfach: Er kann nicht anders. Ich glaube nicht, dass Stan Lafleur die Segnungen des literarischen Betriebs, wenn er ihrer teilhaftig würde, verschmähte. Um genau zu sein, muss man sagen, dass er bisweilen durchaus einige lukrative Stipendien und Preise erhalten hat, wenn sich einmal nicht ganz so ewiggestrige Entscheider in die Jurys verirrten … Aber dauerhaft ernährt das niemanden, vor allen Dingen keinen, der sich nicht anpasst, der sich nicht nach dem typischen Geschmack des Betriebs richtet: irgendwie seriös, irgendwie langweilig und vor allem vollständig lebensfern. Peter Weiss sagte einst: „„Es ist das Prinzip der Kunst, etwas zu tun, obgleich die Umstände dagegen sind.“

Genau das kann man Lafleur nachsagen, und wer so integer zu sich, seiner Haltung und seinem Werk steht, dem winkt, gerade in Deutschland, am Ende nur, aber immerhin – ein Hungertuch.

 

 

Weiterführend → 

Im Jahr 2001 wurde mit dem Hungertuch vom rheinischen Kunstförderer Ulrich Peters ein Künstlerpreis gestiftet, der in den Jahren seines Bestehens von Künstlern an Künstler verliehen wird. Es gibt im Leben unterschiedliche Formen von Erfolg. Zum einen gibt es die Auszeichnung durch Preise und Stipendien, zum anderen die Anerkennung durch die Kolleginnen und Kollegen. Letzteres manifestiert sich in diesem Künstlerpreis.

Die Dokumentation des Hungertuchpreises ist in der erweiterten Taschenbuchausgabe erschienen:  Twitteratur, Genese einer Literaturgattung. Herausgegeben von Matthias Hagedorn, Edition Das Labor 2019.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur. Und ein Recap des Hungertuchpreises. Eine Liste der bisherigen Preisträger finden Sie hier.