Sprache als Firewall

Jedesmal wenn ich versuche einen Text zu ‚analysieren‘, der bei mir Lust erregt hat, dann finde ich nicht meine ‚Subjektivität‘ wieder, sondern mein ‚Individuum‘, die Gegebenheit, die bewirkt, dass mein Körper von den anderen Körpern getrennt ist, und ihm sein Leiden oder seine Lust zueignet: es ist mein Körper der Wollust, den ich wiederfinde.

Roland Barthes

Porträt Walther Stonet von Thomas Kiel.

Die Literaturszene braucht uneitle Menschen, die sich fürsorglich sowohl für die Literatur und ihre Kollegen einsetzen. Menschen wie Walther Stonet. Er war Lyrikredakteur und Rezensent der Literaturzeitschrift Asphaltspuren von 2003 bis 2015 (23 Ausgaben). Jede Textsammlung bedeutet Auswahl – jede Anthologie, jedes Lehrbuch, letztlich jede Literaturzeitschrift. Stets kann nur ausschnitthaft präsentiert werden, was dem Leser Aufschluss geben soll, nur exemplarisch lässt sich das zu Zeigende tatsächlich transportieren. Seit 2008 ist Stonet Herausgeber der Reihe „Walthers Anthologie der Internet-Lyrik“. Er ist den Worten auf der Spur und unternimmt Streifzüge durch die Deutsche Sprache. Inzwischen sind fast 50 Gedichte besprochen worden. Seit August 2015 fungiert er als Herausgeber von zugetextet – einem Feuilleton für Poesie-Sprache-Streit-Kultur. Es geht in diesem „Magazin-Blog neueren Stils“ um die Potenziale, die Sprache hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Interpretation, der Mehrfachbedeutungen und der sich aus diesen Aspekten ergebenden Irritationen, Verirrungen und Verwicklungen zu untersuchen.

Der Leser allein, entscheidet über die Aktualität des Geschriebenen.

In seinem Essay Robokratie – Wie Social Bots die Demokratie manipulieren entkleidet Stonet die Lebenswelt ihres ideologischen Überbaus. Es ist die virtuose Handhabung der poetisch-technischen Verfahren, die treffsichere Verwendung grotesker Verfremdungen und die Fähigkeit, ein Inventar von Metaphern und Bildfeldern für die Charakterisierung von Personen und Situationen bis in die letzte Möglichkeit der Assoziation auszureizen. Am stärksten sind Stonets Überlegungen dort, wo es ihm gelingt, die politischen Implikationen von Denken und Schreiben herauszuarbeiten. Im Internet verflüssigen sich die fundamentalen Orientierungen unserer Kultur. Stonet kritisiert die Bipolarität von Wirklichkeitskonstruktionen, wie sie etwa in den Dualismen Mensch und Maschine, Natur und Kultur, Realität und Virtualität, Tod und Leben zum Ausdruck kommt. Um Walter Benjamin zu paraphasieren, es geht um den „Körper im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Durch das Netz entwickelt sich aus der Entgegensetzung von Mensch und Maschine eine umfassende Mechanisierung des Menschen. Es bleibt als letzte Hoffnung: Die Lehre von Kunst und Dichtung ist kein Selbstzweck, sondern einer der entscheidenden Schauplätze der Globalisierung.

Die Schwarmfixierung isch over.

 

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Die Redaktion verleiht Walther Stonet den KUNO-Essaypreis 2017 für seinen Essay Robokratie – Wie Social Bots die Demokratie manipulieren. Zur hybriden Gattung des Essay lesen Sie hier eine weitere Ausführung.