May the force be with you, Carrie

Filmen heißt, dem Tod bei der Arbeit zuschauen.

Jean Cocteau

 

I

Was mit einer Explosion beginnt und sich langsam auf dem schmalen Grat zwischen Schmerz und Lust, Unterwerfung und Erniedrigung steigert, analysiert der Regisseur mit klinischen Blick und seiner seltsamen Obsession für das Gefälle zwischen der Zivilisation und ihren Niederungen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit dreht er filmische Gewaltentladungen, in denen das Leben nur als Exzess und eine Beziehung nur als grausamer Unterwerfungsakt denkbar ist. Die Hauptdarstellerin sehnt sich danach, diese Grenze zu überschreiten, und so verliert sie die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit am Leitfaden der Sexualität.

II

Kino ist der letzte Ort, wo man fremdgehen darf, ohne sich schämen zu müssen. Hier versteht man Realitätsflucht als Hingabe an das Unbekannte. Früher glaubte man, dass das Licht im Kino gelöscht wird, damit man die Bilder besser sehen kann, nun weiss man, dass es dunkel ist, damit die Zuschauer besser träumen können.

III

Erst an der Leerstelle zwischen Worten und Bildern kann die Fantasie entstehen. Film ist eine Sprache. Und Sprache besteht, neben Wörtern und Sätzen, aus rhetorischen Figuren. Der eigentliche Reiz des Kinos ist, mit unserer Wahrnehmung spielen, uns belügen, irreführen und verunsichern zu können. Und alles auch noch zu unserem Vergnügen. Dasselbe Bild kann in einem anderen Kontext eine andere Bedeutung annehmen, was wirklich und wahr ist, löst sich zwischen den Projektionen auf.

IV

Ein Film besteht aus Bildern und Tönen, die aneinander gelegt werden. Man muss sich nur seiner Wahrnehmung überlassen. Paradoxerweise überlässt man, sobald man im Kinosessel Platz genommen hat, seine Wahrnehmung voll und ganz einem anderen.

V

Jeder Film konfrontiert und mit einer anderen individuellen Sichtweise auf die Dinge, auf die Welt und die Menschen darin. Hollywood produziert einen Echtheits–Fetischismus, der glaubwürdige Bilder erzeugen möchte, auch wenn diese ganz offensichtlich Fake sind.

VI

Kino vermittelt das Bild vom Ideal des Körpers. Der Betrug ist, dass das Bild immer rechtzeitig gestoppt wird, bevor der Körper lebendig wird, bevor Falten, Fett oder Flüssigkeiten zu sehen sind. Frame auf einen Bauch, eine Brust, auf die Lippen. Perfekt inszenierte Ausschnitte eines Körpers.

VII

Das Kino übernimmt die Funktion der Kirche. Andächtig lauscht die Gemeinde der Botschaft, fast glaubt man, das Popcorn fallen zu hören.

Photo by Alan Light: Wim Wenders and Carrie Fisher (1978).

 

VIII Im kommenden Jahr wird Carrie Fisher ein letztes Mal auf der Leinwand zu sehen sein, in ihrer Rolle als Leia Organa, im achten Teil von Star Wars. Es ist die letzte Möglichkeit einer selbstironischen Künstlerin bei der Arbeit zuschauen.

 

***

 

Anmerkung der Redaktion: Die Teile I – VII sind dem Band Zombies entnommen.

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