Statt einer Widmung zu Beginn

 
Dieses Gedicht ist ein Gedicht,

weil ich es sage.

D. h., es wird Leute geben,

die einfältig genug sind,

zu glauben,

dass dies wirklich ein Gedicht ist.

Die Juristen werden feststellen,

es ist kein Plagiat.

Die Ökonomen werden feststellen,

es ist käuflich, aber (…)

es verkauft sich nicht.

Dieses Gedicht ist für die Rote Kapelle

und für die Weiße Rose,

für die, die keiner oder zumindest

mehr als einer Szene angehören,

und für die, die aus Überzeugung arbeitslos sind.

Es wurde geschrieben für die Mülltonnen

auf unserem kleinen präparierten (Hinter-)Hof

und für die Obdachlosen,

die in diesen Mülltonnen

nach Essbarem suchen.

Es wurde für mich geschrieben,

für meine Freundin und unser

noch nicht gezeugtes, noch totes Kind,

für den Korte-Ralf, die Reyer-Sophie

und Johannes Jansen

sowie für jene Dichter,

die mir nie ein Gedicht widmen würden

und mich ignorieren

aus purer Angst,

ihre popeligen Preise und Stipendien

mit mir teilen zu müssen.

Es ist für Rainald Goetz,

der den Büchner-Preis verdient hätte (Stand: 2011),

und auch für alle Pflanzen,

die noch durch Steine hindurchwachsen.

Für meine zwei, drei Freunde ist es,

für alle Kinder

und das Stück Himmel

über dem Boxhagener Platz,

das (noch nicht gentrifiziert)

den Aufstand ankündigt,

für Luise und Katja

und noch einmal für alle Kinder.

Ich schrieb es für Gerd Adloff

als Dank für sein Gedicht

„Dieses Gedicht ist ein Gedicht“,

das ich hiermit empfehle.

Auch ist es für meine Bücher, CDs und DVDs

und für den trockenen Rotwein,

der bei Lidl für 1,69 € erhältlich ist,

und nicht zuletzt für meinen Bruder

und für die, die noch Witze machen können,

obwohl sie sehen, was läuft.

Vor allem aber ist es für Luise,

für meine zwei, drei Freunde

und eben für Luise.

Und sagen will ich

mit diesem Gedicht,

dass ich gerne lebe

und nicht sterben will.

 ***
Ein ganz normales Buch, von Clemens Schittko, Freiraum Verlag 2016
Eine Rezension des Bandes Weiter im Text von Elke Engelhardt finden sie hier. Ein Interview mit Clemens Schittko finden Sie hier.

Weiterführend zur Theorie des Sozialen →

Eine Theorie des Sozialen lautet, es gebe in der Politik keine Lücken. Immer wo sich eine auftue, werde sie sofort von anderen Akteuren besetzt. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat