Sonett 121

 

Viel besser: schlecht sein, als für schlecht zu gelten,

wenn, der’s nicht ist, doch dafür wird gehalten,

und edlen Liebesdrang, den wir nicht schelten,

die Welt verneint in ihrem kalten Walten.

 

Warum denn sollte voller Hochmut sprechen

die Heuchelei von meinem freien Blut,

die Schwäche, die sich rächt an meinen Schwächen,

für schlecht befinden, was ich hielt für gut?

 

Nein, der ich bin, der bin ich; wer mir rief

Verfehlung nach, nur von sich selber spricht;

sie sind nicht grade, und ich bin nicht schief,

ihr Schuldspruch gelte nicht als mein Gericht!

Sie sprechen Unrecht; wenn man nicht mit Recht

die Menschheit insgesamt erkennt für schlecht.

 

 

 

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(Shakespeares Sonette. Nachdichtung von Karl Kraus. Wien, Leipzig: Verlag der Fackel 1933.)

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.