HUNGERSNOT

 

 

aßen menschen im kalten winter

krähen die in der luft erfroren

 und tot im flug herunterfielen

 brote knochenförmig gebacken

 und eine suppe salzig gekocht

 aus kraut kleie wurzeln eicheln und gras

 verfärbten sie sich grünlich gelb

 und schwarz und lagen ohnmächtig

 auf der straße saugten kinder an rüben

 und weggeworfnen knochen im rinnsteig

 nagten sie ihren toten müttern

 die brustwarzen ab aß ein soldat das herz

 eines kindes das tot neben seiner mutter lag

 

 

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Gedichte nach Sagen aus Börde und Altmark, von Holger Benkel, 2024

Wilhelm and Jacob Grimm, 1847; daguerreotype von Hermann Blow

Weiterführend

Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Was den Rezensionsessays von Holger Benkel die Überzeugungskraft verleiht, ist die philosophische Anstrengung, denen er sein Material unterwirft.

Holger Benkels Gedanken, die um Ecken biegen gehen weiter als der geschriebene Text; sie sind kein Ende, sondern ein Anfang. Sie versuchen, diesen kleinen Rest an Sprache etwas aufzuhellen, und wagen es seine Ränder verstehbar zu machen.

Holger Benkel beweist als Lyriker in seinem Band Seelenland ein Gespür für das Unvertraute im Vertrauten, das Unheimliche des Alltäglichen, das Scheinhafte des Realen.