Rückblick / Ausblick

Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sieht die Literatur auch die neue Form der Arbeit, zwischen Bestellung des Landes durch das Volk und Repräsentanz der Herrschaft: die kollektivierte Arbeit zur Herstellung von Waren, die Arbeit des Menschen mit der Maschine und die Arbeit des Menschen als Maschine. Nicht daß sich die neugierige Literaturproduktion nicht vorher schon mit Webstühlen, Baugerüsten oder Manufakturen auseinandergesetzt hätte, aber das geschah vorwiegend mit einem enzyklopädisch kalten Blick. Die Literatur konnte Arbeit erst darstellen, als sie den Arbeiter als ihr menschliches Subjekt und vorwiegend als ihr Opfer zu sehen gelernt hatte.

Und damit, natürlich, begannen auch schon die Probleme. Zu dieser Zeit war die Literatur dabei, ihre politische Ökonomie vergleichsweise radikal zu verbürgerlichen. Sie war ein entscheidendes Mittel der Distinktion, nicht nur nach oben, gegen die Repräsentationsform des Adels, sondern auch nach unten, gegen etwas Diffuses, Unbekanntes, eine neue Klasse, deren Blut, Schweiß und Tränen, Reichtum und Distinktion des Bürgertums erst ermöglichte. Einerseits also mußten sozusagen die neue Arbeit und der neue Arbeiter mit den Mitteln eines bürgerlichen Codes dargestellt werden, andererseits war die neue, industrielle Arbeit von vorneherein mit Elend, Entfremdung, Ausbeutung und Kampf verbunden. Kunst, die Arbeit und ihre Bedingungen zur Kenntnis nimmt, ist gleichsam automatisch dissident, es sei denn, sie folgt den bürgerlichen Prinzipien von Allegorisierung, Heroisierung, Idylle oder Exotik. Mit der Industrialisierung begann das Zeitalter der Kurzgeschichte. Damit war die Geschichte des bürgerlichen Bildungsromans beendet.

Wenn die Geschichte der Medien die Geschichte einer Konkurrenz ist, begann sie mit einem Vorsprung. Die Dichter hatten die Montage entdeckt, als die ersten Photographen noch Stunden brauchten, um ein einzelnes Bild zu entwickeln.

Es war, als hätte die Literatur den Film erahnt und als er kam, genossen sie gemeinsam den Rausch der sich überstürzenden Eindrücke. Das Drehbuch wurde erfunden, später der Rundfunk mit dem Hörspiel begrüßt. Als das Fernsehen sich breit machte, fand es die Schriftsteller schon in skeptischer Distanz. Multimediales Spiel mit Video, Performances und Installationen dachten Maler und Musiker sich aus, deren Zaungäste manchmal auch Dichter waren.

Der Videoclip, ein durch Bildschnitt und Rhythmus bestimmtes Medium, überholte sie alle. Trotzdem verweigert sich die Wortkunst seiner Inspiration. Es scheint, daß sich die Literaten vom flüchtigen ästhetischen Reiz nicht den langen Atem rauben lassen wollen. Uns ist diese kurze Form einen Versuch wert. Schon weil sie sich an einem anderen Ende der Welt ganz unverdächtig bewährt hat: im japanischen Haiku. Haikus sind einfache Sätze. Beobachtungen, in denen fast nichts passiert. Nur daß gerade ein Frosch ins Wasser springt. Der Haiku bedeutet nichts und wirkt trotzdem.

Zwischen der Leere des Zen-Spruchs und dem hysterischen Rhythmus des Videoclips ist eine Form zu entdecken, die sich hören lassen kann. Nur so kann Literatur, will sie auf die veränderten medialen Verhältnisse und die dadurch erzeugten Wirklichkeiten reagieren, einen innovativen Input erhalten und letztlich eine weitere Existenzberechtigung.

Es hat etwas länger gedauert, bis sich Brechts „Radio-Theorie“ im Internet in mediale Praxis verwandelt hat. Neben Bloggern und Podcastern ist hier eine neue Spielart eines sekundären Marktes entstanden, der einer Menge an Zwischenhändlern via eBay schon einmal zum Start verholfen hat. Die digitale Revolution verblüfft ihre Kinder mit immer neuen Volten und zeigt, worin der Erfolg der neuen Medien bestehen kann. Die Community kann direkt Einfluss auf die Seiteninhalte in Form von Artikeln und Bewertungen zu nehmen, darüber hinaus können die Benutzer selbst Änderungen an der Datenbank vornehmen.

Neben einem Forum hat man bei vordenker.de die Möglichkeit, Hörspiele herunterzuladen. Seitdem Hörspiele ständig und überall herunterladbar geworden sind, schwimmt auch die zuständige Kritik öfter im „Ocean Of Sound“ – und taucht manchmal unter. Zumal die allgemeine Herunterladbarkeit von Hörspielen, die Veränderung der Hörgewohnheiten, die mit dem großen stilistischen Durcheinander auf Festplatten einhergeht, längst auch auf die Hörspielproduktion selbst durchschlägt. Nicht nur die Grenzen zwischen verschiedenen Stilen sind durchlässig geworden, auch der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist längst verwischt. Dem muß man sich stellen. Das mag heißen, daß man mit den Beinen strampelt, daß man um Hilfe ruft oder daß es einem gelingt, auf den Wellen surfen und elegant über die Schaumkronen des „Ocean Of Sound“ zu reiten. Am Ende kommt es darauf an, so wenig Wasser wie möglich zu schlucken. Mit der Digitalisierung beginnt das Zeitalter des Literaturclips.

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In den Download-Angeboten der Reihe „MetaPhon“ werden bei vordenker.de Hörspielmacher, Musiker und Komponisten aus der Rhein/Ruhr-Region vorgestellt.

Zu hören sein werden die Hörspielmacher: Mario Giordano, Helge Schneider, Jens Neumann, Marina Rother, A.J. Weigoni, u.a.

Und die Komponisten: Peter Brötzmann, Eva Kurowski, Franz Halmackenreuther, Mona Lisa Overdrive, Alexander Perkin, Volker Förster, Tom Täger, u.a.

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Weiterführend

Die Hörbücher, die in der Reihe MetaPhon vorgestellt werden, sind erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de