Der kleine aber fest zusammengeschweißte Berufsverband der Haarschleifer versteckt sich hinter der weitaus populäreren Organisation der Haarzerkleinerer, denen in einer anderen Betrachtung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Der Haarschleifer konditioniert und spitzenmodelliert das ganze Haarelement von Grund auf, – an der Haarwurzel wird es bereits autogen auf sein Nichtausfallen hin getrimmt, in speziellen haarwurzelgymnastischen Übungen; an der Splißnahtstelle steht kontrollierte Schizophrenisierung zur Wahl. Man darf ja gespalten sein, nein, man muß es sogar, denn woher wüßte man sonst von Himmelsrichtungen, und woher wüßte man, daß alles vom Hauptstrang Gespaltene seine Zeit braucht, um kraftgeladen neue Stränge schießen zu lassen in sinngestimmten Verzweigungen, bis hin zu diesen tausenden von feinsten Antennen, deren Empfang ins All, ins Allmögliche, aufs AllGemeine geschaltet ist und deren moderates Wachstum immer dann auf Sendung geht, wenn die Stresshormone in den Kanälen der Selbstvergessenheit obenauf schwimmen.
Die Haarschleifer veröden die spaltungsgefährdeten Enden so, daß sie, den halbstecknadelkopfgroßen weißen Haarwurzelenden verähnlicht, nicht mehr unberechenbar vergeblich dem zusammenkehrbaren Ausfallen anheimgegeben sind. In den von Spezialistenhänden verödeten Enden ist alles aufbewahrt, was jener Mensch, dessen Ende hier definiert ist, in Nachbarschaft zu all seinen möglichen ähnlichen Enden, in Zukunft sein kann; man mag es nicht glauben, aber in diesen winzigen, verödeten Eiweißpünktchen steckt seine Zukunft, als Bild repräsentativ in der Zukunft einer Frisur, in ihrer natürlich gewachsenen Fülle herrlich, respekteinflößend, wunscherweckend, unspekulierbar vielzählig in Nachkommenschaft.
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Pro toto Typen, von Angelika Janz, KUNO 2023
Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd