Zwischen Transzendenz und Körperlichkeit

Strategien seiner Darstellung / seine Offspacetheorie / subkultureller Ausschließungsmechanismus / er hat sich aus dem Kontext katapultiert

 

Der Ullrich spinnt doch sowieso, sagte mal einer, der macht sich sein Leben unnötig schwer. Wenig später sagte jemand Ähnliches; und ferner sagten viele andere Entsprechendes. Die Formel lautete: Mach doch was mit Sprache, schreib doch was, oder werde Komiker – besser: Kabarettist – geh zum Theater, zum Fernsehen. Du bist Dein Problem, mein Freund.

Gemeint war die Verstrickung bereits in schulische Unbequemlichkeiten durch Widerstände, Feindschaften, Unverständnis sozialer Strukturen, allzuviele Fragen: In-Frage-Stellen – und schließlich die totale Ablehnung und Verhinderung einer Sinnfindung: Aufstand! Gegen alles und gegen alle – unter Missachtung der oben angedeuteten Begabung, die sogar von den ärgsten Feinden bestätigt wurde. Sie bot keine Erleichterung, keinen Trost, keine Hoffnung; zunächst.

Für seine Biographie bedeutungsschwerer als kindische Opposition und Eigenbrötelei – was diesen Ullrich so richtig fertig machte: Orientierungslosigkeit im undurchsichtigen Überangebot der Möglichkeiten des Lebens, was heißen soll, dass er aus keiner der beinahe unendlichen Perspektiven, die Elternhaus/Familie unterstützten – und eben auch nicht aus dem Sprachtalent – Nutzen zu ziehen in der Lage war und nach Irrungen und Wirrungen ausgerechnet in der Informatik seine professionelle Heimat fand. Zunächst. Nach ein bisschen Textildesign, Modesoziologie, Grafik, Philosophie, Kybernetik also ein durchaus spannendes Dasein als Webentwickler und Programmierer von Anwendungssoftware, im täglichen Umgang mit Mathematik. Und mit Sprache, wenn man so will, denn Programmiersprachen sind, wie das Wort schon sagt, nichts anderes als eben Sprachen.

Geschrieben hat der Ullrich trotzdem schon immer, wie man so sagt, bloß mit der sogenannten Öffentlichkeit – na ja, das war so eine Sache; da war nicht wirklich der Wunsch vorhanden, sich der anonymen Masse preiszugeben; also schrieb er für die Schublade, von sporadischen Veröffentlichungen kurzer Essays und Kolumnen in örtlichen Blättern abgesehen, mit einem Kürzel darunter; dabei konnte man den eigenen Bekanntheitsgrad einigermaßen eingrenzen und somit die Identität schützen.

Und dann – nach 15 Jahren als Dev in Deutschland, Frankreich und den USA, mit Projekten u. a. für UGO/IGN Entertainment – durchschritt dieser komplizierte Ullrich, nach einem existenziell einschneidenden Ereignis, über das niemand sonst Genaues wissen muß, eine Art Stargate auf seiner irren Ego-Zeitreise und beendete radikal seine Existenz als Avatar der virtuellen Welt. Plötzlich der Wunsch nach fleischlicher Realität, nach Öffentlichkeit und nach Sinn.

Aus Frankfurt am Main stammend, lebte der Ullrich zuletzt als freier Autor in Frankreich, in der herrlichen Region Aquitaine, die seit 2016 Nouvelle-Aquitaine heißt – was lediglich aus einer politisch hilflosen Gebietsreform resultiert und nichts an der Liebenswürdigkeit des Landstriches und der naturgegebenen, alles andere als kühlen Noblesse seiner Menschen ändert – und veröffentlichte seit 2013 Kurzprosa, Gedichte und Essays. Mit seiner micropoetry gelang es Denis Ullrich eine übernutzte Sprache zu entkernen. Seine vielgestaltigen Texte auf KUNO bewegen sich zwischen Transzendenz und Körperlichkeit. Zuweilen hat man den Eindruck, als wollte dieser Autor das berühmte Diktum Wittgensteins widerlegen: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man – nicht schweigen – sondern dichten! Dieser Autor hinterlies eine Twitteratur bei der weder ästhetische Überhöhung noch schnöder Realismus infrage kommen.

 

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Weiterführend → 

Denis Ullrichs Essay Sind wir nicht alle ein bisschen COPY & Paste? wurde beim KUNO-Essaypreis 2013 mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Die Begründung findet sich hier. Die Redaktion verlieh ihm für einen weiteren fulminanten Text den KUNO–Essay–Preis 2015.

 Lesen Sie bitte auch: Fragmentarischer Versuch einer Prosaverortung, den Prosaüberflug Lost in Laberland und seinen letzten Rezensionsessay.