Gerade heraus

Fragmentarischer Versuch einer Prosaverortung

Der Mensch verprasst Zeit und Energie (und immense Finanzmittel) mit dem Schaffen bedeutungsloser Gadgets: Internet, immer neue Mobiltelefone, Tablets, Game Consoles, Roboter, per USB aufwärmbare Kaffeetassen. Angela Merkel ist besonders angetan von Autos, die selbstständig einparken. (FAZ, 17. September 2015)

Cool. Aber entbehrlich.

Der Mensch bleibt mit seiner Prosa allein. Nerdprosa und Geekprosa.

Wir sind alle zu Deppen einer gigantesken Medienmaschinerie geworden – sagt er, der ehemalige Werbetexter.

Massenmanipulationsprosa – sagt der Andere, der Noch-Werbetexter.

Er sagt: die sogenannten Informationsmedien hinken uns in nichts hinterher, im Gegenteil. Verblödungsprosa.

Der Andere fragt: wiegt Verblödung denn schwerer als Manipulation … vor dem Weltgericht aller lebenden und toten Prosa (aller Ideen) … (aller ProsEN vielmehr? – wirft er ein – nein, kein Plural, du armseliger Autor – sagt der Andere) … vorsätzliche, also strategisch betriebene Verblödung der von einer Gemeinschaft mehr oder minder abhängigen Individuen und Manipulation, das ist schließlich einerlei, wiegt gleich schwer.

Gebrauchsprosa. Friss deinen Burger und werde wie du bist. Nimm dein Smartphone und mach den Akku voll. Vergiss nicht das Update für dein Navi. Dein Blogpost des Tages möchte ebenso in die Welt geschmiert werden (verbildlicht) wie der Kommentar in deinem Lieblingsforum. Kein einziger deiner Friends auf Facebook kann dir heute erklären, warum deine Fußgesten unter dem Heck deines Ford Focus einmal mehr für den Arsch waren aber da ist ja noch die Candy Crush Saga mit dem blöden Level 65, so low und so verdammt tricky.

Odus ist tot. Bis zum nächsten Mal. Die einzige Prosa, die nicht existiert, ist die Candycrushprosa. Oh no, meint Toffette Toffee.

Wenn du noch Zeit hast, morgens pünktlich zu deinem närrischen Broterwerb zu erscheinen, freu dich wenigstens auf das kommende Extreme Rafting zwischen den bizarren Felswänden des Ridnauntals. Pack deine GoPro ein. Be a hero. Ridnauntalprosa: Im Norden erstrecken sich die Stubaier Alpen, südlich das Jaufengebirge. Hier liegen das höchstgelegene Bergwerk Europas, die höchste Schutzhütte Südtirols, das Becherhaus, und der höchste Berg der Stubaier Alpen, das Zuckerhütl. Und Heroes überall. Brauchen Heroes Prosa?

Es war an einem Sonntag im August. In Berlin. Prenzlauer Berg. Treten Sie ein. Legen Sie Ihre Traurigkeit ab! Hier dürfen Sie schweigen. Er schwieg. Der Andere legte los: mit Geschichten über Eiscreme aus Muttermilch, wiederverwendbare Fischblasen-Kondome aus dem Jahr 1900 (gebraucht, noch sechsmal anwendbar), die Suche nach der verlorenen Sprache, die Umkehrung aller Werte, aller Worte, über Löcher, die wir in das Erdreich unserer Sprache gegraben hatten … wo einst der Eros saß. Wir übergossen den Eros mit Unrat, weshalb heute alles Prosa ist, verdrießliche Höllenprosa; der stechend schweflige Gestank der Kulturzersetzung wabert durch die Literaturclubs des digitalen Zeitalters (oder ist es nicht böse gemeint und nur Dilettantismus?). Das ist keine Revolution. Das ist Entleidenschaftlichung (sagte der Andere). Der Andere war in Hochform. Er hatte vorgeglüht. Alles, was geschieht, ist Prosa. Das Ambiente war perfekt. Obschon, hier war nicht alles Prosa, sondern skurril. Ein Ort, an dem die Eingebungen einen ansprangen wie Wiesenschaumzikaden (das 400-fache des Eigengewichts an Sprungkraft).

Hier war jeder Tag ein Sonntag und es war immer August.

Erinnerungsprosa: Nirgendwo schmeckten die Schrippen so nach Berlin wie hier. Wir sprachen über Kunstperlen aus dem Cyberspace, die Fotos von Tony Duran, alte Abrisshäuser, sexy Damen, gut gebaute Jungs.

Und es gab (grenzwertige) erotische Prosa (Harry Moor: Arsch! Oder die irre Geschichte vom Gatsch), von Autoren, die niemand je vermisst hatte, mit Namen, die niemand kennen wollte. Anita Isiris. Imrish Vulvart [sic]. DreamingDolphin: Erstbesuch im Swingerclub. Folge III. (Es waren also Frauen da, die bereit waren (und Vergnügen daran fanden), mit mehreren Männern (und Frauen) gleichzeitig Sex zu haben.) Berlin rocks. Wer nie aus allen Wolken fiel, lebt in ihnen. (Sigmar Schollak)

Lesungen finden nicht mehr statt. Dafür gibt es jetzt Mein Haus am See. It’s not a bar, it’s not a club, it’s something sexier in between.

Er empfahl ein Buch: Ich bin ein Schwein. Schrottprosa. Und er ging mit mir ins Gericht: Zum Beispiel (willkürlich) das Internet als bedeutungsloses Gadget deklassieren, sagte der Andere, nenne ich … kühn!

Prosa ist das, was ich selber schreibe. Der Rest ist das, was andere schreiben.
Ihm fehlen die Worte und dann findet er sie wieder. Ein neuer Stil muss her, hatte er eines Tages gesagt, der bodennahe, jedoch hierarchisch höher etablierte Creative Director. Okay. Okay, hatte er gesagt – und er, der nunmehr ehemalige Werbetexter, deklarierte eine neue Lebensabschnittsprosa. Kannste haben deinen neuen Stil. Hatte er zwar nicht gesagt aber scheiß drauf er redet nicht viel. Schreibt lieber.

Und so schrieb er denn, noch schüchtern der lyrischen Subjektivität und Rhythmisierung verpflichtet, ein Stück Prosapoesie. Fingerübung:

Jeden Tag ein Gedicht schreiben, habe ich mir gedacht.

Kein Schmonzes über rote Rosen und Sonnenuntergänge,

keine Lügen über Liebe.

Renitent möchte ich sein, Thanatos gegenüber,

und auch ansonsten rebellieren gegen alles.

Als Fingerübung und noch mehr.

Jeden Tag eines.

Den Tod überlisten durch ein tägliches Gedicht.

Ein Sisyphos sein, die Götter verachtend.

Der Fels, den ich hinaufrolle, müsste ein Azurit sein;

gleichwohl Azurit ist ein Mineral … kann ich das rollen?

Kein Fels. Keine Strafe.

Wenn schon straflos: ein bisschen Himmelzerschmettern vielleicht.

Skyshatter!

Und wenn es das nicht ist,

schreibe ich eben über meine schöne Nachbarin,

die sommers jeden Morgen einsam durch ihren Garten streift,

eine Rose schneidet, in ihren eigenen Beeten und Rabatten.

Des Abends sitzt sie still da

und beobachtet den Sonnenuntergang.

Eine Meditation.
Jeden Tag eine.

Und wahrscheinlich weiß sie mehr über die Liebe als ich.

Und Sisyphos wird überflüssig.

Azurit ist mittelhart. Ob das zur Erkenntnis reicht?

Skyshatter!

Aus Liebe.

Rote Rosen.

Also doch.

Der Andere (der Werbetexter) fragt mich und sich: Warum liest der Mensch überhaupt? Lesen ist viel zu kreativ. Zeitaufwendig. Unbequem. Fertige Bilder sind leichter zugänglich. Hype der (bewegten) Bilder. Jeder Hanswurst versteht worum es geht. Das Gehirn muss nichts produzieren, konsumiert die Träume fix und fertig komponiert, inklusive Geschmacksverstärker (Sound) und Dislike-Option (ausschalten oder wegsehen, falls einem die Hackfresse eines bestimmten Schauspielers nicht gefällt (der Andere hat einen ganz bestimmen Schauspieler im Sinn, offenbar)). Die 5 Minuten Terrine. ‚Ne Tolle Idee. Prosa in Bildern, die Dominanz des Visuellen. Anschalten und reinziehen. Man muss nicht einmal umrühren.

Als Prosa werden Texte sowie Äußerungen bezeichnet, die weder durch Verse, Reime noch Rhythmus (Metrum) gebunden sind. Daher wird die Prosa auch als ungebundene Rede bezeichnet. Sie umfasst die Alltagssprache, aber auch die künstlerisch gestaltete Form in der Literatur (Kunstprosa). Eine Sonderform, die zwischen gebundener und ungebundener Rede steht, sind die freien Rhythmen.

Die Welt reimt sich nicht mehr. Fiktionale Prosa:

„Heute morgen dachte ich an ein Interview mit dem Schauspieler Hugh Laurie, über das ich während einer Recherche in einem billigen Klatschblatt figurativ gestolpert bin.“

„Und?“, brummte der Lektor und verhüllte seinen Gorillaschädel in einer zähen Tabakwolke.

„Er sagte … Laurie also meinte, die geilste Sache der Welt sei für ihn, sich nach einer Dusche ein paar frische weiche Baumwollsocken über die Füße zu streifen.“

Abermals zog der Gorilla zu ungestüm an seiner Flor de Selva, brachte das Connecticut Shade Deckblatt und die Einlage zum aufleuchten, zu rot – es war offensichtlich, dass er den hervorragenden Honduras-Tabak überhitzte.

„Das soll die geilste Sache der Welt sein?“

„Nun stell dir vor, du ziehst ein paar frische Socken über, so oft du möchtest, und ständig hast du das Gefühl, die Socken kratzen dich an den Füßen.“

„Laurie hat das doch bloß gesagt, um etwas anderes zu sagen als all die anderen …“

„Besser, bildlicher noch: stell dir vor es sind in den Socken, die du deinen Füßen überstreifst, diese kleinen Knubbel drin.“

„Das sind doch alles Spinner, mehr oder weniger.“
„Wie soll ich das bezeichnen … Knötchen, Flusen, das kennst du doch auch, oder?“

„Das soll wohl sein Alleinstellungsmerkmal sein. Verstehst du.“

„Hinzu kommen manchmal noch überschüssige Fäden, Fädchen, die genügend Impertinenz besitzen, sich unverhofft zwischen deine Zehen zu zwängen.“

„Mir ist jeder Schriftsteller lieber.“

„Sowas lässt dir keine Ruhe. Du versuchst es zu ignorieren, schlüpfst in deine Schuhe, gehst los …“

„Alleinstellungsmerkmal: Sockenfetischist!“

„Das macht dich fertig!“

„Wenn ich’s mir recht überlege, gibt es unter euch Schriftstellern ebenso fragwürdige Vögel. Zuhauf, mein lieber, zuhauf.“

Für heute zum letzten Mal sehe ich das Ende seiner Honduras irgendwo vor dem vernebelten Lektor aufglimmen. Some say it’s the Ghost Train’s headlight … und endlich, ich bin so unhöflich, beschließe ich zu gehen, ebenso plötzlich wie wortlos.

„Wenn dich deine Socken aus dem Konzept bringen, laufe doch barfuß.“, hustet es mir hinterher.

Ich ziehe die Bürotür ins Schloss, kraftlos, laut genug, um das übliche Kopfschütteln der herben Schönheit von Lektoratsassistentin auszulösen. Mir einen Blick zu schenken macht sie sich nicht die Mühe, nicht einmal ihren bedrohlichen Dominablick, wenn ihre irritierend großen, nichtsdestoweniger mandelförmigen Mangaaugen schwarzmagisch glühen: Auf wunden Knien will ich dich sehen dass du elendig bettelst um meine Vergebung du verfluchtes Subjekt, oder du wirst meine neunschwänzige Katze spüren auf deinem nackten … Arsch! (Gatsch? Oh nein!) Strafe über dich. Strafe. Strafe!

Lesen bildet, sagt er. Wenn ja … warum? – entgegnet der Andere.

Wenn der Andere ihm sagt, wir hätten Eros mit Unrat übergossen und somit sämtliche Prosa gedemütigt, spricht er ihm von der Bedrohung der gegenwärtigen Kunst (und Prosa) durch das Unschöpferische?

Herzscheiße! Auch das ist Prosa. Herzscheiße (Alicia Metz): Dieses Leben betrachten, das so weit entfernt ist und das sich trotzdem so gut anfühlt. Ganz echt und nah.

 

Alleinstellungsprosa: Gatsch (wieder). Ein hartes Wort, ich weiß. (Harry Moor) Aber es gibt kein besseres deutsches Wort. Und ihr könnt mich alle mal mit eurer langweilig gewordenen deutschen Ästhetik der Scheinheiligkeit. Noch mal: Gatsch, Gatsch, Gatsch.

Ich geile Arsch-o-Arsch-so-Backenknackerherrlichkeiten. Ich starre Spaltgedunkel sich im weißen Weiß verfließend. Ja und nägeleingekrallt im Arschgefleisch der Menschin möchte ich einmal sterben.

Und Arno Schmidt wurde ehedem als Pornograph (und Gotteslästerer) denunziert. Günther Grass desgleichen. Pornograph und Blasphemiker. Zugegeben, ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt … Die Blechtrommel markiert einen Wendepunkt der deutschsprachigen Prosa, zweifellos, ein Geniestreich. Auftritt Oskar Matzerath. Ein Schelmenroman, freilich. Das war gewollt vom Erzähler. Heute liest man die Blechtrommel außerdem als Warnliteratur. (Hans Mayer)

Insassen einer Heil- und Pflegeanstalt. Möglicherweise sind wir das alle. Sein Leben als Werbetexter, das so weit entfernt ist, mit der  prägenden Produktprosa. All der Sprachrotz, dachte er, als der (schon einmal erwähnte) Creative Director in seinem Storyboard für einen kompletten Spot blätterte: Sie baden gerade Ihre Hände drin.

Im Schleim der Brainwashprose die niemand braucht. Er war jung, sie irgendwie noch jünger – es summte aus den hippen Standboxen wenn se‘ verliebt is‘ das gibt es und das is‘ dein glück aber du versiebst es locker und lässig easy come and easy go fick dich und deine ganze beschissene show du liebst mich nicht – die schwerbrüstige brünette Reinzeichnerin, halbnackt auf seinem Ledersofa ausgestreckt, die Schenkel maximal geöffnet; wie fühlt es sich an, dich zu lieben, hauchte er (bescheuerte Umschreibung für Sex); come in and find out, säuselte sie und unvermittelt sah er 1000 Flacons sich selbsttätig entstöpseln und roch eine olfaktorische Kakophonie (sagen wir Duftdissonanz) und er brachte einfach nichts mehr auf die Reihe und fiel in eine ausgewachsene Depression. Nicht lustig.

Werbeprosa durchsetzt unser Leben wie die Sporen eines alles erstickenden Schimmels. Man muss sich befreien. Have it your way. Doch du wirst scheitern.

 

Einer der Grundzüge des Geschlechts, das damals [während des Dreißigjährigen Krieges] lebte, war eine Verzwicktheit und Umständlichkeit, Direktionslosigkeit und Gedankenflucht, die ihresgleichen sucht: wir wissen bereits, daß eine derartige Chaotik und seelische Labilität in einem gewissen Grade das Merkmal aller Zeitalter bildet, in denen sich Neues vorbereitet. Trat hiezu nun noch die Desperadoroheit und hemmungslose Amoralität, die der damaligen Generation ebenfalls in seltenem Maße eigen war, so war es ganz unvermeidlich, daß das schauerlich-groteske Monstrum dieses bestialischen, blindwütigen, endlosen und prinzipienlosen Krieges entstand, der ein Menschenalter lang fraß, um zu fressen, und nicht begreifen läßt, warum er anfing, warum er aufhörte und warum er überhaupt auf der Welt war. (Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit)

Das ist Prosa, wie Gott sie (sonntags) träumt … So kernig, so lebhaft hat kein zweiter zu schreiben vermocht, vielleicht selbst Nietzsche nicht. (Daniel Krause, tabularasa)

Gottesprosa. Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt (lau wie unsere krisenverliebte Gegenwart), werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

Prōsa oratio. Prorsus: vorwärts, geradewegs. Oratio: Sprache, das Sprechen. Wikiprosa: Als […] Begriff bezeichnet die Prosa jene unterschiedlichen Gattungs-Elemente der Literatur, die Beobachtetes, Empfundenes, Erdachtes und Gedachtes mitteilen und mehr oder weniger interpretieren: in einen ausgesprochenen oder unausgesprochenen Sinn-Zusammenhang stellen, erklären, kommentieren, analysieren oder bewerten und die […] in ihrer Darstellungsform nicht versförmig sind.

Was aber sagt ihm das? Ist alles Prosa? Ist er Prosa? Der Andere ebenso? So wie all die anderen? Warum fing die Prosa an? Die Vorsokratiker versuchten, die Wirkung ihrer Texte durch rhythmisch-stilistische Regeln zu optimieren.

Wann wird sie aufhören? Wo der Mensch nicht ist, gibt es keine Prosa. Einmal vereint in Orgrimmar, wird es nur noch um Add-Ons gehen. Was wird er ausrichten können? Ohne Prosa und ohne Void Storage. Oder es sei Harmagedon. Damn civilians. Eschatologische Prosa als vorletztes Ausdrucksmittel. Als letztes sprechen die Waffen. Welche? Konventionell? Nuklear? Digitale Medien?

Das Void Storage ist ein Lager indem ihr Rüstungsgegenstände die ihr gerne behalten wollt einlagert. Außerdem könnt ihr eure Rüstung mit der Hilfe eines weiteren NSCs so aussehen lassen wie euer altes Lieblingsset oder auch eure Waffe.

Gameprosa.

Und für immer bleibt die Ich-Prosa. Sind Gedanken nicht effizienter, umfassender, klarer als Sprachbilder, ungenügende? Die ausgegebenen Gedanken, Ideen, noch einmal schlucken, umkodieren, als Sprache (Prosa) unzureichend materialisiert und naturgemäß entstellt und verzerrt wiederum hervorwürgen, das ist (sagt der Andere) als ob man einen verschluckten und ausgeschissenen Kaugummi noch einmal zwischen die Zähne nimmt.

Und übrigens dürfe man keinesfalls (so der Andere) Erscheinungen wie Harry Moor, Anita Isiris, Imrish Vulvart in einem Text nennen mit Arno Schmidt, Günther Grass und Hans Mayer. Nicht einmal mit Sigmar Schollak und Alicia Metz. Das sei ein Verbrechen am Geiste.

Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken. (Samuel Johnson) Lalala (Text vergessen), auch das ist Prosa. Wenn, dann verstehen andere, auch dir nahe stehende, nur Fragmente deiner Selbst. Du selbst verstehst dich nicht. Lost in prose.

Falls der Mensch irgendwann Sprache überwindet und unsere Gedanken unmittelbar mit Gedanken der anderen kommunizieren werden, wie definieren wir dann Prosa? Gehirnprosa.
Brain-to-Text-Verfahren rekonstruiert gesprochene Wörter und Sätze aus Hirnsignalen. (Frontiers in Neuroscience, hier wiedergegeben aus: scinexx.de, Dezember 2015) Angst. Harmagedon.

Gedankensyntax, Typologie, Brainprose. Immateriell. Ungreifbar.

Auch nach Harmagedon wird es Prosa geben. Neue Prosa für neue Menschen. (Sagt der Andere) Brain-to-Brain (oder sonst wie). Und weiter: Bereits vor Harmagedon suchen wir Erneuerung, wollen Medien vermischen und dabei neue, hybride oder intermediale Formen entdecken.

Dieses theoretisch und inhaltlich immer noch sehr breit gefächerte Gebiet berührt aktuelle Debatten der Narratologie, Gattungspoetik, Intermedialität und Hybridisierung (Rabatel, Genette, Nünning, Combe, Rajewsky, Spielmann). […] Wie tragen etablierte Methoden einer präzisen, exemplarischen, theoretisch fundierten Lektüre einerseits, und neuere, quantitative Verfahren der literarischen Textanalyse (Jannidis, Ramsay, Jockers) andererseits, zur Untersuchung der generisch und/oder medial transgressiven modernen Prosa bei? Wo liegen ihre jeweiligen Beschränkungen? (romanistik.de)

Prosa erscheint ihm also ungreifbar (sagt der Andere), gewiss abgrenzbar, während sämtliche Entgrenzungsversuche bislang kümmerlich oder glorreich wiederum in Prosa münden.

In welchem Zustand befindet sich die Prosa von heute? Wo ansetzen? Wo verorten? Wie verstehen? Antike, Kunstprosa, mittelalterliche patristische und philosophische Prosa, Saga, Spätmittelalter, Heldenbuch-Prosa, literarische Prosa, Roman – der erste Prosaroman entstand in Spanien? (Don Quijote) – Neuzeit, Novelle, Erzählung, Essay … Drama …

Heldenbücher. Dietrichepik. Þiðrekssaga: Nicht wenige sachthematisch orientierte Beobachter haben längst verstanden, dass Germanistik und Nordistik aus dem Fall Thidrekssaga bislang als Beklagte und Richterinnen hervorgegangen sind. Und solange ihnen bereitwillige Historiker mehrheitlich am Rockzipfel hängen, werden sie auch und vor allem seit Ritter-Schaumburg weiterhin versuchen, beiden Positionen mit krampfhaft gestanzten Deutungsschablonen zu dienen, die mit schier unerschöpflich erscheinender mediävalbibliografischer Intertextualität, unkritisch ausgelegter mittelalterlicher Dietrich-Theoderich-Verschmelzung und daraus nicht minder fragwürdigen forschungsideologischen Kombinations-, Interpretations- und Deduktionszwängen bis zur pseudochronistisch-dichterischen Abstempelung einer im Mindesten historiografischen Herrschervita reichen müssen. (Rolf Badenhausen, Dietrich von Bern – Chronik oder Dichtung?) Prosaprobleme.

Prosa heute, sagt der Andere, sei oft wie der cafard bei Emil M. Cioran. Dagegen kann man nichts machen. Das muss sich von selbst erschöpfen.

Den von dem Anderen hergestellten Zusammenhang zwischen Eros und Prosa kann er beim besten Willen noch immer nicht erfassen.

Und wo genau liegt Orgrimmar? Im Norden von Durotar liegt Orgrimmar. You are so dead! Somebody call a medic!

Er braucht keinen Arzt, um (verlorengehend) den Spuren Leiris‘, Picassos, Duchamps, Cahuns, Ponges folgend, neue (Prosa)Formen zu (er)finden; denn er ist nicht mehr Werbetexter. Er ist Schriftsteller. Er traf einen Verleger, dem er vor 20 Jahren ein Manuskript hatte zukommen lassen. Totaler Müll war das gewesen, das Manuskript kam bald zurück, immerhin Lesespuren aufweisend … bis Seite 10. Und selbstverständlich erinnerte sich der Verleger nicht an den damaligen Versager und schon Werbetexter, der nun, 20 Jahre später, einen als genial bewerteten Text vorlegte, der ihn sozusagen über Nacht zum Schriftsteller machte.

Unglaubliche Lebensprosa. Zu schön um wahr zu sein. Beinahe Poesie.

Heute ist er ununterbrochen auf der Suche nach Prosaformen. Er leistet seinen Beitrag, um Spuren zu hinterlassen, wissend, dass er scheitern wird – denn er teilt eine Vision des Anderen (des Noch-Werbetexters): Alles was uns bleiben wird, ist mediengesteuerte Demagogie in ihrer kriminellsten Form.

„Wenn ein Philosoph über die Sprache schreibt, lese ich ihn nicht, wenn es ein Schriftsteller ist, werfe ich das Buch fort. In Frankreich, das stimmt schon, fasziniert und lähmt dieses Problem jeden, der schreibt. Mich interessiert nicht, was sie von der Sprache denken, sondern wie sie sie anwenden, ihre eigene Sprache – das Instrument, und nicht die Reflexion über das Instrument.“

 

Emil M. Cioran, Cahier de Talamanca, in der Übersetzung von Verena von der Heyden-Rynsch

 

 

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Weiterführend

Dieser Essay wurde beim KUNO-Essaypreis 2013 mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Die Begründung findet sich hier.

→ Die Redaktion verlieh Denis Ullrich für einen weiteren fulminanten Text den KUNO–Essay–Preis 2015.

→ Die Gattung des Essays hält das freie Denken aufrecht, ohne, daß der literarische Anspruch verlorengeht