Zum 100. Geburtstag von Milo Dor

 

Wir verdanken ihm viel und haben ihm sehr zu danken. Er hat den Sozialfonds der Literar-Mechana begründet

Den Milo Dor – fast niemand kennt seinen „wirklichen“ Namen Milutin Doroslovac – braucht man in der Österreichischen Literaturszene nicht vorzustellen. Jeder weiß, wer der Milo Dor war und immer noch ist: in seiner Literatur, in seinem Einsatz zum Wohle der Kollegenschaft, in seiner Brückenfunktion zum Balkan, in seinem Kampf um Humanismus und Aufklärung. Wenn ich mich jetzt an den Milo Dor erinnere, so sehe ich ihn vor mir als einen stets sehr sorgfältig, ja fast elegant gekleideten Herrn, immer mit Zigarre und einem Glas Wein, die Augen prüfend aber ruhig auf sein Gegenüber gerichtet, konzentriert auf das, worum es geht; aber auch in fröhlicher Runde, mit seiner Frau, an einem Tisch in Rauris oder anderswo, in angeregtem Gespräch. Oder wie er mit György Sebestyén, Hans Weigel, Franz Leo Popp, dem jungen Gerhard Ruiss und dem Vertreter der Austro Mechana bei einer Demonstration der gesamten Künstlerschaft – das gab es damals noch – in einem hellen Sarg das Österreichische Urheberrecht zu Grabe trug. Ich kann mich noch gut daran erinnern, sehe diesen Augenblick vor der Oper in Wien vor mir.

Wir standen einander nicht sehr nahe, es gab kaum eine wirkliche Begegnung, die zu einer engeren Beziehung hätte führen können. Aber es gab den gegenseitigen Respekt. Und auch, daß uns beide sozusagen „der Balkan“, nämlich Jugoslawien, irgendwie miteinander verband. Er wußte, daß ich viel „da unten“ war und dort meine Kontakte, Bezugspersonen, Freunde hatte. Milo Dor verbrachte bis 1942 seine Jugend in Belgrad, wo er dann nach dem Einmarsch der Nazitruppen – andere sagten lieber „Deutsche Wehrmacht“ und sprachen in diesem Zusammenhang von „Pflichterfüllung“ – verhaftet, gefangengenommen, gefoltert und schließlich zur Zwangsarbeit nach Wien abgeschoben worden war, wo er nach dem Krieg bis zu seinem Tod verblieb.

Das erste Mal, daß ich den Namen Milo Dor hörte, war, als ich die großartige Verfilmung seiner Romantrilogie „Die Raikow Saga“ im TV gesehen habe; das muß so in den frühen Sechzigerjahren gewesen sein. Und dieser Film hat mich nicht nur sehr beeindruckt, sondern auch beeinflußt, in meiner Stellung(nahme) zum Nationalsozialismus, der ja meine Kinderzeit begleitet hat. Zwei Brüder von mir (Max/Sepp) waren ja bei dieser „Deutschen Wehrmacht“, dann „vermißt“ und in Gefangenschaft. Irgendwann nachdem ich den Film, den ich später dann noch einige Male sah, gesehen hatte, griff ich zu den Büchern der „Raikow Saga“, und die faszinierten mich genauso, indem sie mich in eine Welt führten, deren Geographie ich zumindest kannte. Wenn ich heute in mein Wohnzimmer gehe, dann blickt mir aus dem Bücherschrank hinter der Glastür das Gesicht von Milo Dor auf dem Umschlag seines Buches „Grenzüberschreitungen – Positionen eines kämpferischen Humanisten“ entgegen. Da sieht man einen freundlich dreinblickenden alten Herrn mit Hut und Brille und einem fast zaghaften Lächeln um seinen Mund. Die Augen blicken direkt in das Objektiv der Kamera und somit den Betrachter des Bildes an, direkt in seine Augen. Das war der Milo Dor nämlich wirklich: Einer, der auf das Wesentliche sah und viel Verlogenes und Gefährliches in seiner Gegebenheit und Entwicklung, worum er sich auch Sorgen machte, durchschaute. Der Titel des Buches ist absolut richtig; denn dieser Milo Dor war nicht nur selber ein von und in seiner Haltung geprägter kämpferischer Humanist, sondern auch einer, der glaubte, jedenfalls dafür kämpfte, daß dieser Humanismus nicht einfach so verschwindet und untergeht. Und er wußte: Dieser Humanismus und als Folge davon die Humanität werden einem nicht einfach geschenkt, weder dem Einzelnen, noch der Gesellschaft, noch dem Staat, weder der Politik, noch der Demokratie, nein, den gilt es, täglich von neuem zu erkämpfen. Das tat der Milo Dor. Und das ist weit über seine Literatur hinaus sein Vermächtnis an uns.

 

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.