Die Tage fielen um wie Dominosteine

 

Die Arbeit am Computer war ermüdend, die Zeit verging und blieb stehen. Ich las Sartre. Ich spielte mit seinen Ideen in Les jeux sont faits und schrieb einen härteren Schluss. Mir gefiel das philosophische Spiel, so lernte ich am besten Französisch. Ich rief Grandmère an, ich brauchte mehr Geld, weil ich länger in Paris bleiben wollte.

Stella fragte mich wieder aus. Sie wollte wissen, welche Frauen ich vor ihr liebte. Ich erzählte ihr von Elisa, die mir alle meine Hemden auf Taille umgenäht hat. Stella lachte. Sie hielt dabei die Kaffeetasse schief … Trink!, dachte ich. Aber sie trank nicht. Stella im kurzen Rock. Keine Jeans. Der Kaffee schwappte nicht über, floss nicht auf ihre Haut. Trink doch! Ich hatte zwei Teelöffel Salz in ihren Kaffee getan. Sie lachte mich aus, als sie mich musterte. Aber die taillierten Hemden saßen verdammt gut. „Ich hätte dir die Hemden auch umgenäht“, sagte sie. Sie stellte die Tasse weg und lehnte sich an mich. Der Jardin war verschwunden. „Ich will keine anderen Götter haben neben dir“, sagte sie. Sie verpasste mir ihre Religion. Ich spürte, wie sie mich wollte. Je mehr sie mich auslachte, desto mehr begehrte ich sie. Ich bin nicht dein Gott. Für mich schon, dachte sie. Ich sah es ihr an. Ihr war alles egal, sie lachte mich aus mit dem Salz auf dem Tisch. Sie ruhte in sich selbst, sie war sicher, dass mich das reizte. Aber ich spielte das Spiel langsamer als sie.

„Gehen wir“, sagte ich. Ein Wahnwitz diese Sonne. Wir gingen zur Île de la cité. Ich redete und redete, spielte mit Worten, Gedanken, Namen, mit der ganzen Welt. Ich erzählte von Wilhelm Reich und den Körperströmen, zitierte aus dem Kopf die abstruse These von der verwundenden Stärke des Mannes. Alles was ich sagte, fing sie auf. Stella im hellblauen Rock. Ich schob meine Augen in ihre Augen hinein. Schwindel lief mir über die Schultern …

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.