Die Hitler-Bilder

 

Überall verschwanden sie plötzlich bei Kriegsende: die Hitler-Bilder. Zuerst in den Privathäusern, dann auch an und in öffentlichen Gebäuden. Man entsorgte sie so schnell es nur ging und sagte, es dürfe kein Hitler-Bild von der Besatzung gefunden werden, am allerwenigsten von den Russen. Und so hing man die Hitler-Bilder ab. Wo früher eines gehangen war, dort war an der Wand nun ein wahrnehmbarer Fleck so groß wie früher das Bild. In manchen Herrgottswinkeln, wo vorher das Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus gehangen oder gestanden und dann durch ein Hitler-Bild ausgetauscht worden war, hing oder stand nunmehr wieder das alte Kreuz, das man vom Keller oder Dachboden geholt hatte. Und alles hatte somit wieder seine Ordnung; so glaubten viele.

Die meisten Hitler-Bilder fanden sich am Dreispitzauf dem Scherbenhaufen,dem Mistplatz des Ortes, wo man seinen Müll und sonstige Abfälle deponierte, die dann mit einer Schichte Erde bedeckt wurden. Da fanden wir Buben plötzlich viele Hitler-Bilder; und diese brannten. Man hatte sie nach dem Hinbringen und noch vor dem Weggehen angezündet, manchmal an mehreren Stellen gleichzeitig. Einige Bilder hatte man samt den Rahmen und noch unter Glas weggeschmissen und angezündet. Die Leute, welche die Hitlerbilder auf dem Scherbenhaufen deponierten, vor allem dann, wenn keine Leute da waren, also sozusagen im Geheimen, erledigten das sehr schnell, oft kamen sie gar nicht mehr zum Anzünden, sondern gingen gleich wieder weg. Sie wollten nicht gesehen werden. Lächerlich, weil man doch sowieso wußte, wer alle diese Nazis waren. Nachher wollte keiner ein Nazi gewesen sein.

Wenn die hölzernen, lackierten Rahmen gut brannten, dann zersprang nach einer Weile das Glas durch die von den Flammen erzeugte Hitze. Das Zerbersten des Glases war für mich besonders interessant, weil es etwas Magisches an sich hatte. Ich erinnere mich, wie ich das an einem solchen Bild genau beobachtet hatte. Und als das Glas zerborsten und das Bild, eine große Fotografie Feuer gefangen hatte, da rollte sich dieses Hitler-Bild, dieses Hitler-Gesicht langsam brennend zusammen. Das Fotopapier stank, es gab beim Verbrennen einen Geruch wie in einem Spital frei. „Der Hitler rollt sich zusammen und verbrennt“, sagte ich zu meinem Freund, mit dem ich auf dem Mistplatz war. Und ich empfang so etwas wie ein Triumphgefühl in mir.

Wir waren so oft wie möglich jetzt auf dem Scherbenhaufen am Dreispitz. Dies vor allem deswegen, weil wir das Glas der gerahmten Hitler-Bilder sammelten, das heißt: zu sammeln versuchten. Denn dieses Glas konnten wir, wenn es ganz blieb, um ein paar Pfennige verkaufen; denn Glas war in jenen Tagen Mangelware. Aber es war sehr schwer, an dieses Glas der Hitler-Bilder heranzukommen, es so aus dem Rahmen zu lösen, daß es nicht zerbrach.

Die Hitler-Bilder also verschwanden aus dem Ort. Vielleicht daß der eine oder andere sein Hitler-Bild irgendwo gut versteckte, sozusagen als Andenken. Aber das Risiko war groß. Man konnte große Scherereien bekommen, wenn es nachhergefunden wurde. Auch einige braune Uniformjacken fanden sich auf dem Scherbenhaufen, manchmal mit allerlei Klimbimdaran. Schwarze Hosen fand man nicht; deren Stoff konnte man ja auch nachher verwenden; manchmal gewendet. Viele hatten nachher schwarze Hosen an, manchmal mit irgendwelchen Streifen in einer anderen Farbe verziert. Plötzlich waren auch wieder die Trachtenanzüge modern und die Dirndln; und zwar bei den Leuten, die vorher Uniform getragen hatten.

„Es muß sich alles möglichst schnell wieder normalisieren“, war der Satz, den man oft hören konnte. Und so war es dann auch. Einige Monate nach der Nazizeit und dem Krieg fragte kein Mensch mehr nach, wer wann wo gewesen war und was er wo wie gemacht hatte. Fast jeder fand in einem Beruf zurück. Es ging wieder aufwärts; trotz der Nachkriegsnot. Im Radio wurden Namen verlesen, von Gefallenen und Vermißten, später dann von Heimkehrern. Alles normalisierte sich. Und plötzlich gab es manchmal wieder Butter aufs Brot. Und die Russen-Soldaten spielten Basketball vor unserem Haus. Und schrieen und lachten dabei wie die Lausbuben. Und freuten sich über ihr Leben; und daß alles jetzt so war, wie es war.

 

 

 ***

Weiterführend →

Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.