Du schon da!

 

Du schon da! Ich stehe auf dem Balkon. Hinter mir die Zinkwanne, ich habe sie bis oben hin mit Wasser gefüllt. Mit roten, weißen und blauen Ankerbausteinen baute ich ein Unterwasserschloss, mit Säulen, Toren und Fensterbögen. Die Bleisoldaten stehen auf dem Boden der Wanne. Oben schwimmt das Holzschiff. Die Luftblasen an der Wannenwand schimmern blau. Ich beuge mich über das Geländer und schaue hinunter in den Hof. Mein Freund spielt im Sandkasten, ich kann hier oben im dritten Stock nicht erkennen, was er gebaut hat. Er sieht mich. „Jan, ich brauche einen Stein! Wirf mir den roten Torbogen runter!“ Ich bücke mich zum Steinbaukasten und suche den Torbogen, aber ein roter ist nicht da. „Ich habe nur einen weißen!“, rufe ich. „Egal“, sagt er, „wirf!“ Er stellt sich vor den Sandkasten und hält seine Hand über die Augen, der Himmel blendet ihn. „Fang auf!“, rufe ich. Und schon werfe ich den Stein wie einen Speer in die Tiefe. Der Freund fällt vom Stein getroffen zu Boden und rührt sich nicht mehr. Ich renne vom Balkon und springe über die Treppenstufen vorbei am bunten Baum im großen Fenster zu Tal. Ich jage über den Hof zum Sandkasten. Wo ist mein Freund? Ich schaue hinauf zum Balkon, halte die Hand an die Stirn – dann wird mir schwarz vor Augen.

 

 

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Gionos Lächeln, ein Fortsetzungsroman von Ulrich Bergmann, KUNO 2022

Vieles bleibt in Gionos Lächeln offen und in der Schwebe, Lücken tun sich auf und Leerstellen, man mag darin einen lyrischen Gestus erkennen. Das Alltägliche wird bei Ulrich Bergmann zum poetischen Ereignis, immer wieder gibt es Passagen, die das Wiederlesen und Nochmallesen lohnen. Poesie ist gerade dann, wenn man sie als Sprache der Wirklichkeit ernst nimmt, kein animistisches, vitalistisches Medium, sondern eine Verlebendigungsmaschine.

Weiterführend →

Eine liebevoll spöttische Einführung zu Gionos Lächeln von Holger Benkel. Er schreib auch zu den Arthurgeschichten von Ulrich Bergmann einen Rezensionsessay. – Eine Einführung in Schlangegeschichten finden Sie hier.