Zugehörigkeit- und Identität

Anmerkungen zu Petar/Peter Tyran

Ein ehemaliger burgenländischer Landeshauptmann hat einmal nach meiner Fotoausstellung über „Die bäuerliche Architektur im burgenländischkroatischen Siedlungsraum“, in der ich nicht nur die Schönheit dieser Architektur, sondern auch ihre systematische Zerstörung aufgezeigt habe, nach dem dritten Bier leutselig-kumpelhaft zu mir gesagt: „Wiplinger, des is jo olles recht scheen, owa loß die Finger von dem, wos Di nix ongeht!“ Und er begründete das auch sehr schlüssig mit dem Zusatz: „Weu erstens bist jo ned amol a Buagnlandla und zweitens scho goa koa Krowot.“ Womit er ja recht gehabt hat, weil ich ein Mühlviertler aus der Böhmerwaldgegend bin. Es stimmt: Tatsache ist Tatsache. Aber manche Tatsache eignet sich nicht für eine Begründung, weil sich daraus kein Folgeschluß aufgrund zwingender innerer Notwendigkeit ergibt; sondern eine solche Scheinbegründung nichts anderes als der Nachweis von Engstirnigkeit und Dummheit und zugleich eine impertinente Provokation ist. Und da sind wir schon beim Thema: mit dem Wort „Provokation“.

Hier wie dort ist jeder Nationalismus, der oft in einem halbseidenen Gewand von Volksverdummung oder Engsichtigkeit von Politikern daherkommt, eine Provokation. Das habe ich als Mühlviertler zuerst in Kärnten mit den Slowenen und dann auch im Burgenland feststellen müssen. Ich meine hier im besonderen die Volksgruppenfrage. Das Kroatentum im Burgenland, das Slowenentum in Kärnten, die Roma- und Sinti-Kultur in ganz Österreich und Europa. Ich meine das, was überall sich zeigt, wo man den Satz „Wir sind wir!“ sozusagen auf die Fahnen heftet, obwohl man gar nicht weiß, wer man selbst ist.

Eine Frage der Zugehörigkeit und der Identität ist dieses „Selbst-Sein“, das sich oft nur auf ein ganz kleines Terrain bezieht; vor allem dann, wenn man ohne mit dieser Frage nach dem eigenen Ich nicht wirklich in die Tiefe geht, sondern nur eine vorgefertigte Meinung hat, die man wie eine Schablone von Zugehörigkeit über sein eigenes Ich stülpt. Das Gleiche gilt aber auch für eine Volksgruppe, für politische und konfessionelle Gruppierungen. Es ist nämlich so schnell einmal gesagt: „Das bin ich, das sind wir.“ Wenn man nicht darüber nachdenkt; sondern die Frage nach dem Ich oder Wir leichtfertig mit dem Zugehörigkeitsschlüssel aufsperren will, glaubt dies tun zu können. Dieser Schlüssel paßt aber nicht, er sperrt die Tür nicht auf, er eröffnet keinen weiteren Raum; man bleibt weiter eingeschlossen – in sein Ich, in seine Gruppe, in seinen Kultur- und Zivilisationsraum. Und so entwickelt sich nichts – nichts Neues, nichts Besseres. Im besten Fall bleibt alles, wie es schon immer war. Aber das ist zu wenig, weil nicht lebensfähig. Irgendwann wird in dem Raum, wo man eingeschlossen ist, die Luft zu dünn. Man kriegt keine Luft mehr und man wird diesen Raum verlassen und hinausgehen in die Assimilation als Weg in die Freiheit.

Ich weiß, das alles ist jetzt eine große Metapher, die man dechiffrieren muß, damit man weiß und nachvollziehen kann, wovon konkret die Rede ist. Sagen wir doch einfach nur ein einziges Wort; zum Beispiel: „Volksgruppenfrage“ – oder „Identität“.

Und genau das hat der hier Geehrte, der Petar/Peter Tyran schon früh begriffen. Ich kann und darf das sagen, weil ich ihn schon früh, nämlich schon vor 40 Jahren kennengelernt habe; und zwar eben so, daß wir über diese Frage bezüglich des Verhältnisses von „Minderheit“ und „Mehrheit“ diskutiert haben. Ich habe mich damals als Schriftsteller schon mit solchen Fragen befaßt. Und der Peter Tyran war bereits Regionaljournalist und „Volksgruppenaktivist“ – so nennt man das heute. Jedenfalls haben wir darüber in einem gemeinsam bezogenen Zimmer in Skopje geredet. Angeregt – bei mir jedenfalls – durch die Problematik der „Albanerfrage“ am Rande von Makedonien, nämlich in Ochrid bzw. bei den „Struški večeri na poezijata“. Ich hatte dem Reporterteam des makedonischen Rundfunks ein Interview gegeben und dabei auch die Volksgruppefrage „Albaner in Jugoslawien“ angesprochen. Wegen absichtlicher Falschübersetzung habe ich dann abgebrochen – Tyran war damals mein Übersetzer, von dem die Journalisten aber nicht wußten, daß er die Sprache verstand und mich durch vereinbarte Geheimzeichen auf die absichtliche Fehlübersetzung meines Gesagten aufmerksam machte.

Also: Diese Fragen haben wir dann immer wieder diskutiert, nachdem wir uns persönlich näher kennengelernt hatten. Für mich jedenfalls war die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen der Burgenlandkroaten, ja die Beschäftigung mit ihrer Kultur eine wertvolle Lebensbereicherung geworden. Und ich habe jedes Mal bei oder nach einer Veranstaltung im burgenländischkroatischen Kulturzentrum in der Schwindgasse in Wien, wo ich oft zu Gast war, gemahnt, daß eine Volksgruppe nicht in ihrem Ghetto eingeschlossen bleiben, sich nicht selber einschließen darf, sondern daß die Kultur und Sprache samt Brauchtum einer Volksgruppe hinüber zum Mehrheitsvolk transportiert und dort auch verständlich und als Mehrwert begreifbar gemacht werden muß. Und daß dies ein Wechselprozeß sein muß; einfacher gesagt: eine fruchtbare Begegnung. Nur so kann die Volksgruppe etwas profitieren und vor dem sie zersetzenden Korrosionsprozeß der (Zwangs-) Assimilation geschützt und bewahrt werden. Mein Bißl-Kroatisch, das ich ab 1960 gelernt aber rasch wieder vergessen hatte, brachte zwar nicht viel mit für eine Vertiefung bei meiner Annäherung an die Burgenlandkroaten, aber machte doch so etwas wie eine positive Stimmung – in mir und beim Gegenüber. Und aus dem geöffneten Fenstern in meinem Atelier erklangen immer öfter und immer mehr Tamburizza-Musik und kroatische Lieder.

Zurück zum heute zu ehrenden Freund Peter Tyran! Also dieses schon früh vorhandene, aus seiner Familie und seiner Volksgruppe her tradierte Kroatentum war es, das ihn immer weiter führte auf seinem Lebensweg. Immer intensiver und engagierter, ja kämpferischer trat er für seine Volksgruppe der Burgenlandkroaten ein; und machte dies dann zu seinem Beruf, dem des Journalisten und späteren Chefredakteurs der burgenländischkroatischen Wochenzeitung „Hrvatske novine“. Und das prägte fortan sein Leben. Und prägt es bis heute. Davon können – wie man so sagt – seine Familie, seine Frau Eva und seine Kinder – ein Lied singen. Der Petar war nur mehr unterwegs; jedes Wochenende. Und zigtausende Kilometer auf Reporterfahrten pro Jahr im Auto. Von einem Termin zum nächsten gehetzt. Und so ist es noch immer. Jetzt in der Pension, die er noch nicht angetreten hat, sollte er mehr Ruhe geben. Das sage ich als sein “Voda“, als väterlicher Freund und Trauzeuge. Aber das ist leicht gesagt. Wer macht denn dann seinen Job weiter? Und diese Frage zeigt ein Problem auf, das gelöst werden muß; und zwar im Sinne dessen, was ich am Anfang gesagt habe. Es braucht unbedingt jemanden, der diese Brückenfunktion – vor allem auch im Journalismus – zwischen der Volksgruppe und dem Mehrheitsvolk erfüllt. Denn eine Volksgruppe braucht ihr „Innenleben“ und die Informationen darüber – wer hat geheiratet, wer ist gestorben, was gibt es Neues! – für ihre Festigung, für ihren Zusammenhalt. Und das ist das Mehrheitsvolk jeder Volksgruppe schuldig. Eben weil es von der kulturellen Bereicherung – auch zur eigenen Charakterbildung in Fragen der kulturellen Akzeptanz – nur profitieren kann. Also muß der Weiterbestand der Hrvatske novine unabhängig von allen Personalkonstellationen von der Politik unbedingt gesichert werden! Hier hat eine lösungsorientierte Diskussion zu beginnen.

So! Und daß man einen Menschen, der sein ganzes Leben lang in den Dienst dieser Vermittlungstätigkeit gestellt – und dabei sein Privatleben hinten angestellt hat – durch eine öffentliche Ehrenbezeugung ehrt, d.h. seine Verdienste würdigt, das ist nicht nur gerecht, sondern gleichfalls ein Akt der gegenseitigen Wertschätzung zweier miteinander lebenden Gruppen. Und für beide gilt eines gleich: Wir können uns weder Parallelgesellschaften leisten, noch dieses Zerrissensein zwischen verschiedenen Zugehörigkeiten und Zugehörigkeitsgefühlen. Wir können und dürfen uns keine zivilisatorischen Ghettos leisten, weil dies stets auf Kosten von uns selbst geht. Es gibt keinen anderen Weg als den des Zueinander und des Miteinander anstatt des Gegeneinander, wenn wir eines haben wollen, nämlich Frieden und ein friedliches Zusammensein. Und das bedeutet, daß jeder seine Identität, ja seine Identitäten leben darf und kann. Nur daraus entsteht ein gutes Neues. Und dafür hat dieser Peter Tyran lebenslang gekämpft und seinen Beitrag geleistet. Herzlichen Dank dafür, lieber Peter. Hvala lepa!

 

 

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Redaktionelle Anmerkung: Dem burgenländischkroatischen Journalisten und Chefredakteur der kroatischen Wochenzeitung Hrvatske Novine wurde in Würdigung seiner Verdienste um die kroatische Volksgruppe im Burgenland am 19.7.2021 vom Burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil das „Silberne Ehrenzeichen des Landes Burgenland“ verliehen.

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.