Der Lyriker als sein eigenes Gedicht

Die „Trompete“ erinnert an den Dichter und Herausgeber Peer Schröder

Peer Schröder war einer der Menschen, ohne die ein unabhängiger, lebendiger Literaturbetrieb nicht vorstellbar ist: Ein Netzwerker, Mut-Macher, übermütiger Aktivist und kreativer Kopf, vor allem aber ein begabter und vielseitiger Dichter. „Der einzige Lyriker, den ich kenne, der auch sein eigenes Gedicht ist“, wie Christoph Heubner in der von Schröder mitgegründeten Zeitschrift „Trompete“ schreibt. Am 12. April 2019 ist Peer Schröder nach kurzer schwerer Krankheit in seiner Heimatstadt Kassel gestorben, erst 62 Jahre jung.

Was Peer Schröders Poeme nach Ansicht von Hadayatullah Hübsch „sonnenstrahlig, querquirlig und ungelenk hübsch“ mache, seien seine widerborstigen Rubbeleien, mit denen er Worte auf eine Gedichtkette perlt, ohne auf den Gebrauchswert von eingeübten Satzfetzen und Bürokratiesprüchen zu achten.

In der zehnten Ausgabe der „Trompete“, dem „Periodikum für rebellische Lyrismen“,  erinnern jetzt Freunde und Weggefährte an den Autor, der seit seinen Studententagen Literaturzeitschriften Sammelbände und Lesungen auf die Beine gestellt hat, um der darbenden Lyrik eine Form und ein Podium zu geben. Einige dieser frühen Zeitschriften sind in der „Trompete“ als Faksimile abgebildet; Gedichte mit der Reiseschreibmaschine abgetippt und handschriftlich ergänzt, anarchistisch und doch liebevoll gebunden; ordentlich abgegriffen, wie sich das für gute Literatur gehört.

Der Dichter und Kulturwissenschaftler Peer Schröder sei einer der nimmermüden Aktivisten der Beat Generation, ein Autor, der das Erbe der großen amerikanischen Idole Allen Ginsberg, Ted Berrigan oder Charles Olson nicht etwa ehrfürchtig-kleinmeisterlich zitiere, sondern deren Dynamismus mit neuem Leben erfülle.

Den Herausgebern Theo Köppen, Katja Töpfer und Michael Kellner ist eine feine Zusammenstellung gelungen, in der sich Gedichte, Grafiken und anekdotische Texte eines illustren Autorenkreises zu einem stimmigen Ganzen formen. Es zeigt auch, wie sehr Peer Schröder in der regionalen Lyrik-Szene verwurzelt war – und weit darüber hinaus. So schreibt der Lyriker Georg Milzner aus Münster:

Symphytum officinale

ausgegraben den Krieg aus

gegraben er lag in den Schneefeldern lag

unterm Lehm und im Froschlaich lag

er versteckt lag

ausgebrüllt wüst und ergab sich nacktblind

seinem Wüten ich hockte mit den Kollegen im Feld

und sah zu wie die Schaufeln ihn

trieben ihn weitertrieben den traurigen (…)

Und Caroline Hartge erinnert sich:

mondschein, klang & glut

alles auf reihe, alle in reihe

im frühlingsmondbuchenwald

still nebeneinander auf einem stamm

von einem stamm

der klang einer halbvollen flasche wein

beim weiterreichen beim trinken

am ende der reihe die glut

der allereinzigen zigarette; Peer

Immer wieder finden sich Texte, die dem Abschied eine Form geben. „Ich gehe ins Schwarze Meer – eine Katze verspeisen – du auch?“, zitiert Jörg Burkhard den Freund, für ihn ein „Hampelmann“ und „seltener Poet“:

Lüge schön

Und schenke mir den letzten Schluck

Ich werde dich nicht vergessen…

(…)

In dem knapp 80-seitigen Band ist mehr Dankbarkeit als Trauer zu verspüren. Es ist berührend, wie viele der 26 Autorinnen und Autoren in dem Heft Schlüsselmomente ihres literarischen Werdegangs mit Peer Schröder verbinden und wie groß der Unwillen ist, diesen Verlust einfach so hinzunehmen. Dies alles verbindet sich zu einem vielstimmigen Lebensbild, das Peer Schröder wohl gefallen hätte.

 

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Trompete 10 erscheint in einer einmaligen, nummerierten 200er Auflage in der Edition Michael Kellner, Hamburg

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