Sichtopfer

An solchen Abenden, wenn er allein ausgeht, vielleicht um neue Leute kennen zu lernen, vielleicht auch nur, um andere zu beobachten, kann er sich oft nur wundern. Leute, die kein Problem damit haben, wenn sie beobachtet werden, es sogar darauf abzielen. Sie haben die entsprechende Kleidung angezogen, auffällig und etwas abseits der Norm. Manche legen ein besonderes Verhalten an den Tag, das anzeigt, hier wird geschauspielert. Einige beziehen ihre Selbstachtung, ihr Ego gerade daraus, dass sie gesehen werden, fremdbeurteilt und bewertet. In diesen Situationen kann aus der Selbstzurschaustellung und expliziter Außenwahrnehmung tatsächlich eine Form von Reibungsenergie entstehen, die nicht zu unterschätzen ist. Dann springen Funken über, die Epidermis wird zur Gänsehaut. Die Beobachter wie scheinbaren Sichtopfer können von diesem Vorgang durchaus profitieren; die einen laben sich am Gesehenen. Die anderen? Ohne gesehen zu werden, verliert sich der Selbstwert. Zu wissen, dass tausend Blicke an einem Menschen hängen, kann auch der schwächsten Kreatur die innere Stärke eines Löwen geben, für ein paar Minuten.

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Weiterführend → 

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

Zuletzt erschienen: Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp. Mit Fotos von Stephanie Neuhaus. Edition Das Labor 2019