Die Bosna (Vrelo Bosne)

 

 

Nur selten gibt es das – ein vollkommener Fluß

Tritt aus dem Stein; dabei hat sich das Auge

Das alles längst gewünscht: Bevor das Klackern

Der Steine losgeht, diesen erhabenen Austritt,

 

Denn was, frage ich, beeindruckt noch heut, wo

Jeder Furz, mit Schüssen gesalbt, als Weltuhr-

Werk gilt. Ich habe die Bosna gesehn, von allen

Fünf Flüssen, im geweihten und zerstobenen

 

Land, die ich sah, war sie der steinigste, glaub‘

Ich, und ihr Perlen, ihr „perlicke-perlacke“ in

Graugrün und aufleuchtendem Grün, entsprach

Dem, was man von einem Fluß erwartet, – in

 

Diesem Land, in das ich kam, das ich liebte und

Bewunderte und fast nicht verstand. Und noch

Immer liebe ich es und fürchte um es … und will

Nicht verstehn, wohin es treibt, mit seinen

 

Weiden und wirklichen Bergen, seinen Tälern, in

Die seine Flüsse gelegt sind: Vrbas und Drina,

Miljacka, Neretva und Buna, winzig, eine winzige

Bosna … und eben die Bosna, nach der dieses

 

Land heißt, nach dem ich in Sehnsucht lebe, seit

Ich es sah, einatmete, roch und: wieder verließ.

Vrelo bosne … ach, könnte ich einmal dort stehn –

Und nachsehen, ob Frieden ist, vollkommen.

 

 

 

***

Bodenkunde, Gedichte von André Schinkel, Mitteldeutscher Verlag Halle 2017

Weiterführend →

In seinen neuen Gedichten, die den Nachfolger seines 2007er Bandes Löwenpanneau bilden, sieht man André Schinkel mit der Vertiefung seiner poetischen Sichten befasst. Die Texte von Bodenkunde entstanden in einer bewegten Phase des Autors und sprechen über den Zweifel an der und die Hoffnung auf die Liebe, sie reden in Amouren und Rondellen über die Schönheit und den Schrecken der Welt, ihrer Gegenwart als zu entdeckendes Paradies, berichten von inneren wie äußeren Reisen, Gestirnen, vom Licht und der Sehnsucht. Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.

Weiterführend →

Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.