Wege 2. Ruinen-Trekking, Garzweiler II.

 

Auf der B 60 wird noch verkehrt, am Rande ist alles tot. Kein Wunder, denn augenscheinlich fiel hier eine Neutronenbombe und so sieht das dann aus: leere Häuser mit zugemauerten Luken gegen die Plünderer, versehrte Scheiben, staubige Wände — dazwischen die Ruinen von Inden, wir stapfen durch das Geröll… Hans Jörg schraubt ‘ne Klinke ab, die er letztlich schon hatte mitnehmen wollen: aber da kamen die Bullen, die hassen Resteverwerter…

Blauregen umwuchert das (völlig intakte) Neonschild der Dorfkneipe “Alt-Inden”: noch vor zwei Jahren gingen wir hier rein: Samstag abend: der Laden leer und komplett verdunkelt, nur am Tresen zwei Typen wie Zombies beim Licht einer Schreibtischlampe — das Bier war warm… Jetzt nurmehr bloße Fassaden wie Brandmauern: durch die entkernten Gewölbe schlurfen wir stumm und ich lasse einen Haufen zurück, damit wenigstens etwas von uns bleibt… Kiki lünkert aus einem Haus heraus, macht sich rappelnd an der Jalousie zu schaffen: rauf runter rauf runter wie ein kryptisches Signal – das einzige Geräusch weit und breit, wenn man absieht von den vorbei preschenden Autos…

Und weiter: zur nächsten Geisterstadt… Inge klagt: “Letzte Woche stand da noch die Dorfkirche, wie schrecklich!!” Wir sehen nur Schutt und Baumaschinen, selbst die still und starr. Eine einsame Tankstelle, verrottet: ein verlassener Ort in texanischer Einöde, irgendein Blechding quietscht rostig im leise fächelnden Wind — wir wollen nicht noch mal aussteigen und starten durch zum großen Loch…

Das ist sozusagen der logische Schlusspunkt der Reise: diese endlose Schneise, gefräst in den rheinischen Boden… Weit geht der Blick übers Land, über dem blaue Wolkenkonglomerate dräuen… Wie ein Foto von August Sander, das ich geradezu sehen kann, doch kaum realisieren mit meinen armseligen Kamerakünsten, die Brennweite ist zu groß, die gesamte Ansicht zu erfassen, nicht einmal die Ursache des Ganzen passt drauf — der Bagger: das überdimensionale metal-Monster…

Es ist weniger ein Bagger als eine komplette Verarbeitungseinheit: das riesige Schaufelrad, das in die Erde beißt und die Stücke aufs Fließband schleudert, das sie viele hundert Meter weit befördert… Dieses Ding ganz allein hat die Landschaft geprägt, es ist unglaublich. Für Inge tut `s mir leid, denn auch ihr Haus in Otzenrath muss dran glauben — doch: dieses künstliche Tal, es sieht verdammt cool aus…

 

 

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Auszug aus: Heimat & Weltall. 2 Zyklen, von Enno Stahl, Ritter, broschiert, mit Fotoarbeiten des Autors. Zum Geleit das Konzept Orte.Wege. Pflanzen.

Further reading 

Lesen Sie auch den Artikel Perlen des Trash über 25 Jahre Gossenhefte und Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash. Eine Hörprobe von Trash me! finden Sie in der Reihe MetaPhon.

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