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Den Tod habe ich abgelehnt und fand es eine wahnsinnige Verschwendung, dass das Leben plötzlich aus ist. Warum das Lebensende am Höhepunkt?

Maria Lassnig

Es gibt Künstler, die fallen aus der Zeit und solche, die hinterlassen Spuren, wie „Der Mann mit den weißen Schuhen“. Peter Meilchen war zeitlebens ironisch und selbstironisch, bitterböse, sehnsuchtsvoll und abgeklärt. Jugendfrisch und altersweise. Kämpferisch und poetisch. Alles. Nur nicht altersmilde oder gar sentimental. Nicht die Kunst. Nicht der Künstler. Er ging mit seiner Kamera so dicht an die Dinge dieser Welt heran, daß diese ihren Anspruch aufgeben, Dinge dieser Welt zu sein – und zum Bild werden können. Sein ‘Sehen’ war kein Begaffen, sondern existenziell vollzogen. Seine Bilder sprechen zum Betrachter in vielen Sprachen. Meilchens Arbeit einer Gattung zuzuordnen hieße, seine Kunst vom Leben zu trennen.

Gibt es eine Wirklichkeit hinter den Bildern?

Und wenn ja, gibt es einen direkten Zugang zu ihr? Ganz neu ist die Frage nicht. Die Sehnsucht nach dem “unvermittelten Blick” auf die Welt, jenseits der Medien, ist so alt wie die menschliche Kultur. Doch wie der Künstler Peter Meilchen sie stellt, das macht sein Werk so wertvoll. Daß dies auch mit einer spielerischen Leichtigkeit geschehen kann, belegt die erstmals ausgestellte Reihe Frühlingel in Rahmen der Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen im Kunstverein Linz.

Die Schnittstelle der Beziehung zwischen bildender Kunst, Musik und Texten hat Peter Meilchen stets interessiert. Seine künstlerische Produktion war von konzeptuellen Überlegungen getragen. In seinem Werk sehen wir Arbeiten, die stets die Grenzen von künstlerischem Objekt und Alltagsgegenstand befragen. Dies erkennt man auch an der Reihe Frühlingel, die erstmals im Kunstverein Linz ausgestellt wurde. Er greift auf bewährt analoge Mittel, wie Entwicklerflüssigkeit, Photopapier und das Mittel der Collage zurück. Jeder kann sein Leben komponieren wie Musik, diese Übereinstimmung der beteiligten Artisten werden mit den Inventionen von Peter Meilchen weitere Zwischentöne abgewonnen. Das Leben im 21. Jahrhundert und nicht weniger die Kunst: ein Spiel, eine Verschiebung von Signifikanten, ohne schicksalhafte Kettung an ein biografisches oder historisches Signifikat. Die Schwere der Existenz wird aufgehoben durch die Leichtigkeit der künstlerischen Interaktion.

Frühlingel

Die Inventionen aus der Reihe Frühlingel im Buch / Katalog Wortspielhalle stammen von Peter Meilchen. Weil die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt sind, betrifft die meisten Menschen nur die Welt der Mitteilbarkeit und ihr gemeinsames Symbolsystem, Peter Meilchens Welt hat andere Grenzen, in ihr können Bilder vorkommen, die sich selbst bedeuten. Die bildende Kunst nimmt wieder ihren Ort im Dreieck Kunst – Idee – Bild ein. Und eine Idee zu einem ganzheitlichen Bild, das unterschiedlichste Dinge vereint, zu formen, darin besteht die große Aufgabe künstlerischen Schaffens. Keineswegs ist die Welt also nur alles, was der Fall ist, der Künstler kann es so zeigen, daß sie uns auf fremde Weise vertraut vorkommt. Meilchen hinterfragte in Zusammenarbeit mit Weigoni die Widersprüche zwischen Wort und Bild, überschritt aber früh die Grenzen der Malerei, indem er Installationen, Künstlerbücher, Fotografien oder den Film Schland schuf. Er verspricht dem Betrachter eine Wirklichkeit, die jene Bildwirklichkeiten nicht mehr benötigt, in welche der Betrachter seit der Renaissance gleichsam einem Fenster hineinsieht. Ein Bild interessiert ihn nur, wenn es anders wird als das, was ich man sich vorgestellt hat. Mit Bildern ist es wie mit Wünschen: Die unerfüllten bleiben intakt, die erfüllten werden flach. Einer der Vorteile von Kunst gegenüber der Wirklichkeit ist die Hemmungslosigkeit, mit der man sie ansehen darf.

Für alle, die das Diktum show, don’t tell nicht verinnerlicht haben

Aus dem Nachlaß publizierte die Edition Das Labor den Roman Schimpfen. Diese Künstlerbiographie  zu veröffentlichen ist mehr als Trauerarbeit. Es ist der Versuch einer notwendigen Reparatur einer schicksalhaften Ungerechtigkeit. Schimpfen ist ein Text ohne Gedächtnis, allein von Erinnerungen an Bilder, Gerüche, Gefühle getragen und auf der Suche nach einer zu erzählenden Geschichte. Wer von seinem Leben erzählt, erzählt immer eine Erfolgsgeschichte. Wer erzählt, lebt.

 

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Der Katalog Wortspielhalle mit der Reihe Frühlingel von Peter Meilchen wurde vorgestellt auf der Ausstellung: 50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen vom 12. April – 10. Mai 2014 im Kunstverein Linz (Asbacherstr. 2, 53545 Linz). Zur Ausstellung erschien der Katalog Wortspielhalle mit der Reihe Frühlingel.

Weiterführend →

Einen Essay zur Ausstellung im Kunstverein Linz lesen Sie hier. Einen weiteren Essay zur Reihe im Rheintor lesen Sie hier. Und einen Essay zum Lebenswerk von Peter Meilchen lesen Sie hier.

Weiterhin von Peter Meilchen erhältlich:

Schland, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2009

Texte, Hörbuch, Edition Das Labor, Mülheim 2010

Beobachtungen eines Unsichtbaren, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2011

Leben in Möglichkeitsfloskeln auf Kulturnotizen 2013

Schimpfen, Roman, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Frühlingel, erschienen im Buch/Katalog-Projekt Wortspielhalle, Edition Das Labor, Mülheim 2014