50 Jahre Super 8

Mich begeistert das Filmen, weil es ein Stück Leben festhält, ein Stück Leben, das ohne Kamera und Film schnell in Vergessenheit geraten würde.

Berti Vogts

Technisch gesehen ist Super 8 ist ein Schmalfilm-Filmformat, das erstmals im Herbst 1964 von Kodak vorgestellt wurde. Es zeichnet sich durch warme Farbtöne aus. Das zu belichtende Material befand sich in einer lichtdichten Kassette und hatte 15 Meter am Stück; die Bildfläche war gegenüber anderen Formaten um die Hälfte größer. Mechanisch wird ein leicht hüpfende Bild produziert, am Rande bemerkt man fast unvermeidliche Fussel im Bildfenster. Dazu versetzt das Surren des Projektors den Betrachter in die anlaloge Zeit zurück. Mit diesem Format wurde überwiegend für den privaten Bereich gedacht, um Familienfeste, Urlaube oder öffentliche Ereignisse in bewegten Bildern festzuhalten. In den 1980er Jahren wurde dieses Format nahezu komplett von der Videotechnik abgelöst. Von zahlreichen Enthusiasten und Kunst- wie Experimentalfilmern wird es jedoch noch heute verwendet, auch bei der Produktion von Werbefilmen und Musikclips wird das Format eingesetzt, es gilt als Kultformat für Skater-Filme, Musik-Clips und Experimentalfilmer wie Peter Meilchen. Dieser Künstler hatte einen altmodisch wirkender Projektor in seinem Keller zu stehen, den er eines Tages in die Werkstatt-Galerie Der Bogen anschleppte.

Der Akt des Sehens und der Akt des Filmens, für Peter Meilchen gab es da nie einen Unterschied.

Exemplarisch läßt sich Meilchens Arbeit an einem Multimediaprojekt verdeutlichen. Schland ist der Versuch, den Blick gleichsam zu konservieren und mit der Kraft der Vergewisserung die Seele des Augenblicks festzuhalten. Diese multimediale Arbeit beschreibt einen akustischen Raum in einem räumlichen Behältnis, dem „neuen“ DeutSchland, einem fiktiven Staat, tiefste Provinz. Schland folgt dem poetischen Kernsatz:

Nur die Fiktion ist noch wirklich, weil die Wirklichkeit durch mannigfaltige Wahrheiten verunstaltet wurde.

Schland ist nicht nur ein Acker in Herdringen, auf dem Milchproduzenten umherlaufen, Schland ist überall. Es geht (ganz im Sinne Poes: „Man sieht es und sieht doch hindurch“) um den Blick, das Sehen, die Kurzsichtigkeit. In seinem Spiel mit den unterschiedlichen Oberflächen und Texturen, in der Kontrastierung der scheinbar unvermittelten Landschaft bei Herdringen, den mehrfach gebrochenen Ausblicken auf das Sauerland sind diese Fotos – nicht nur im ironischen Kommentar des zusammengekniffenen Photografenauges,  immer auch Reflexionen über das Medium Photografie.

Peter Meilchen präsentiert mit Schland ein durchaus ernsthaftes Projekt über ein Tier, dessen Faszinationspotenzial gering scheint, dem aber ein entscheidender Anteil an der Sesshaftwerdung des Menschen, also der wesentlichen zivilisationsgeschichtlichen Wegmarke überhaupt zugesprochen werden kann. Das Kühe, die gütigen Ammen der Menschheit sind, wissen wir seit dem alten Testament, die Gründe dafür, dass der Kuh eher das Image von Behäbig– und Mittelmäßigkeit anhaftet, vollzieht Peter Meilchen in seinem Projekt nach, indem er zeigt, wie ursprünglich biologische Konstitutionsmerkmale oder historische Notwendigkeiten mit symbolischem Gehalt gefüllt werden. Er präsentiert die körperliche Ruhe der Kuh, die sie zum Sinnbild des Stoischen hat werden lassen, mit ihrer Eigenschaft als Beutetier. Für das ist es in freier Wildbahn überlebensnotwendig, weder Panik noch Schmerz zu zeigen, um nicht die Aufmerksamkeit des Raubtiers auf sich zu lenken. Ähnlich: ihre Augen. Sie sind dafür geschaffen, ein maximal großes Sichtfeld zu haben, um Angreifer möglichst früh erkennen zu können. Uns sind sie indes vor allem Ausdruck der psychischen wie physischen Lethargie der Kuh. Wie tief gerade das Bild der Kuh als Indikator von Normalität im kulturellen Gedächtnis verankert ist, wird besonders an jenen Untergangsvisionen augenscheinlich, in denen die Kuh zum Vorboten des Unheils wird, das bald auch den Menschen erreichen wird. Was mit den Kühen in der biblischen Apokalypse–Darstellung beginnt, setzt sich fort in amerikanischen Weltuntergangsfilmen wie Apocalypse Now, Twister oder Jurassic Park, in denen die durch die Luft fliegende oder schwebende Kuh zum untrügliches Zeichen dafür wird, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Sein Trick besteht darin, daß es natürlich gar nicht um die Wahrheit über die Kuh geht, sondern darum, gerade durch die verschiedenen Projektionen etwas über die die Menschen und ihre Zeit selbst zu erfahren.

Die Restauration von Schland ist eine Resynchronisation, die Bild und Ton des Films, im vorliegenden Original gegeneinander verrutscht, wieder in den richtigen Bezug zueinander bringt.

 

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Weiterhin von Peter Meilchen in der Edition Das Labor erhältlich:

Digital remasterd von Daniel Täger.

Schland, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2009

Texte, Hörbuch, Edition Das Labor, Mülheim 2010

Beobachtungen eines Unsichtbaren, DVD, Edition Das Labor, Mülheim 2011

Leben in Möglichkeitsfloskeln auf Kulturnotizen 2013

Schimpfen, Roman, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Frühlingel, erscheint im Buch/Katalog-Projekt Wortspielhalle, Edition Das Labor, Mülheim 2014

630, ein Buch/Katalog-Projekt von Peter Meilchen, Tom Täger und A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018

 

Weiterführend →

Eine Würdigung des künstlerischen Lebenswerks von Peter Meilchen lesen Sie hier. Mit den Vignetten definierte A.J. Weigoni eine Literaturgattung neu. Die Novelle erscheint in der Umsetzung als Hörbuch und das Buch/Katalog-Projekt 630 zur Ausstellung von Peter Meilchen. Eine Hörprobe findet sich hier.