Retweets, Hashtags, Follower

Vorbemerkung der Redaktion: KUNO freut sich, im Rahmen des Schwerpunkts Twitteratur ‚Digitale Kürzestschreibweisen‘ von Jan Drees und Sandra Anika Meyer vorstellen zu können:

Die Geschichte von Twitter begann im Jahre 2006 in San Francisco bei der Firma Odeo dank der Arbeit von Jack Dorsey, Biz Stone und Evan Williams. 2004 gegründet, war Odeo auf die Entwicklung von Software für Podcasts spezialisiert, aber Dorsey wollte etwas Innovativeres schaffen. So erfand er einen schnellen und persönlichen Kommunikationsdienst, in dem die Nutzer auf eine sehr einfache Frage antworten mussten:

»What are you doing?«. Zunächst wurde das Projekt Stat.us genannt, aber dann wurde der Name zu Twttr und schließlich zu Twitter geändert. Am 21. März 2006 kam es zum ersten Tweet: »Just setting up my twttr«. Die Antwort eines Mitarbeiters, Dom Sagolla, war prophetisch: »Oh, this is going to be addictive«.

Wie aber funktioniert die Plattform nun im Detail?

Twitternachrichten können auf unterschiedliche Weise aufgebaut sein. Die übliche Form besteht aus einem kurzen Text und einer daran anschließenden Internetadresse. Das bedeutet auch, dass in den 140 Zeichen keineswegs die komplette Message enthalten ist. Twitternachrichten dieses Stils sind erst durch ihre Verlinkung ins Netz vollständig. Um Zeichen zu sparen, werden für diese Internetadressen zumeist URL-Shortener wie goo.gl oder bitly.com verwendet, die eine lange Adresse in eine gekürzte, jedoch weiterhin auf die Ursprungsseite verweisende Form verkleinern.

Zugleich gibt es Tweets, die sich direkt auf ein spezielles Thema beziehen. Zu bestimmten Ereignissen und Diskursen werden Kurzcodes geschaffen, die es den Nutzern ermöglichen, den Twitter-Dienst auf ein Schlagwort hin zu durchsuchen. Diesem Schlagwort wird ein #-Zeichen vorangestellt, im Fachjargon »Hashtag« genannt.

Hashtag ist eine englische Wortkomposition aus den Begriffen hash und tag, wobei es sich bei hash um den englischen Begriff für das Doppelkreuz (#) handelt und tag für eine Markierung steht. Der Begriff hash steht im Commonwealth-Englisch auch für das Rautenzeichen auf der Telefontastatur. Das Doppelkreuz wird zudem in URL-Adressen bereits als Fragmentbezeichner benutzt.

Im Sommer 2013 wurde mit dem Twitter-Hashtag #aufschrei zum ersten Mal ein Grimme Online-Award für dieses Kommunikationszeichen verliehen: »In der Begründung der Jury hieß es, erst durch Twitter habe die gesellschaftliche Diskussion über Sexismus an Dynamik gewonnen und sei dann in aller Breite auch in anderen Medien geführt worden.«

Wenige Wochen später erreichte das Hashtag #btw13 einen neuen Rekord, als am 22. September zur Bundestagswahl über 350.000 Tweets abgesetzt wurden.

»Das ist die bisher höchste Anzahl Tweets in Deutschland zu einem Thema an einem Tag.«

Inzwischen werden Hashtags auch auf allen anderen sozialen Plattformen zur schnelleren Einordnung oder Markierung verwendet. Zugleich hat das #-Zeichen ebenso selbstverständlich Einzug in die Alltagskommunikation gefunden, analog zu SMS- und Chat-Abbreviationen wie z. B. LOL, WTF, OMG6 und Emoticons, die mit ASCII-Zeichen ein Smiley nachbilden, wie :-) oder :-D7 , die irgendwann auch in gewöhnlichen Briefen auftauchten.

Allerdings sagt die Etikette:

Es ist ein Unterschied, ob ich eine Postkarte schreibe, wo ja Jugendliche auch mal ein Bild einfügen und mittlerweile auch mal einen Smiley, oder ob ich, ich sage mal, meinem Präsidenten eine E-Mail schreibe. Ich würde mich natürlich schwer davor hüten, dort einen Smiley zu integrieren. Also die offizielle Kommunikation in der Administration und so weiter, da hat man natürlich diese ganzen Formen der Kommunikation nicht.

Dass Hashtags längst medienübergreifend eingesetzt werden, zeigt ein Beispiel aus der Radiowelt. Zur Bundestagswahl 2013 hat der Westdeutsche Rundfunk die Fernsehsendung #waszurwahl mit Moderator Max von Malotki produziert, der erläutert, dass besagtes Hashtag verwendet wurde, um den Diskussionscharakter der Sendung zu unterstreichen. Wer mitreden möchte, benutzt einfach das Hashtag auf Twitter, Facebook und Co. und ist dabei. Tatsächlich haben einige das generell an ihre Meinungen zum Thema Wahl drangehängt, später – unabhängig von der Sendung. Pretty cool.

Auf Twitter selbst entspringt der Diskussionscharakter dem Social-Network-Gedanken: Twitter has grown steadily on two behaviors—users who acquire followers and users who become one themselves, following others. Substitute user for any artist you want—musician, painter, writer—and Twitter’s function gains a derivative beyond communication or awareness: This is how one builds fandom, celebrity.

Der Zugang zu den getwitterten Inhalten ist, sobald man sich ein Benutzerkonto angelegt hat, unbeschränkt möglich. Follower11 können die Tweets der von ihnen hinzugefügten Accounts entweder »favorisieren« oder »retweeten« – also wahlweise einen Stern vergeben oder den Tweet auf der persönlichen Timeline (ihrer Twitterchronik) nachpublizieren und so ihren eigenen Followern zur Verfügung stellen. Die Verbreitung einzelner Ausschnitte wird durch die Retweet-Funktion erleichtert, es muss also kein Link auf die Ursprungsseite angezeigt werden, auf der besagter Tweet steht. Aus Büchern wird auch auf sozialen Plattformen weiterhin zitiert und das Zitat dann mit einem Link, beispielsweise zur Verkaufsseite Amazon.de komplettiert.

Allerdings werden Retweets inzwischen immer weniger genutzt, wodurch die Vernetzung innerhalb der Twitter-Gemeinschaft beschränkt wird. Retweets sind wie Kettenbriefe, die von Account zu Account wandern. Das Favorisieren ist stumm. Einen Tweet als Favoriten zu markieren, gilt wohl oder übel für manche Nutzer zum normalen Alltag. Bei inhaltlich getriebenen Tweets mag dies passen, aber wenn Tweets mit weiterführenden Links versehen sind, wirkt das wie eine Ohrfeige ins Gesicht – besonders dann, wenn man selbst den Inhalt aus eigener Feder beigesteuert hat. Der Autor gerät mit seiner Botschaft unweigerlich auf das Abstellgleis, wenn Inhalte nicht effektiv geteilt werden. Wo sind die Zeiten hin, in denen einzelne Tweets durch das Internet rauschten, ohne dass man mehrere zehntausend Follower haben musste?

Zuletzt gibt es die Möglichkeit, durch @Ansprachen öffentliche Unterhaltungen auf Twitter zu führen, entstanden aus der technischen Beschränkung, dass anfangs keine persönlichen Nachrichten per Twitter verschickt werden konnten. Die Nutzer wollten aber nicht nur als Sender agieren. Also begannen einige von ihnen damit, den Namen von Benutzerkonten das @-Symbol voranzustellen. Dadurch konnten sie sich in öffentlichen Nachrichten an bestimmte Personen wenden.

Twitter ermöglicht aufgrund der Gerichtetheit seiner Kommunikation einen direkten Dialog. Die Funktion verändert das Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Leser:

Der Autor wird künftig mehr noch als bisher erklären müssen, was er schreibt – und für wen. Dabei wird er sich stärker auf das Publikum und die neuen Möglichkeiten des Dialogs einlassen müssen.

Twitterliteratur sichert in digitaler Form vermittels Links oder #- und @-Markierungen gerichtete Anschlussfähigkeit, die in dieser exponierten Weise nicht auf Papier-Nachdrucke übertragen werden kann. Daraus ergibt sich eine Differenz zwischen Online- und Offline-Twitteratur.

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Die GENERATOR-Reihe wird herausgegeben von Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und -gestaltung an der UdK Berlin.
Format: Kindle Edition, Dateigröße: 634 KB
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 70 Seiten
Verlag: Frohmann

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Anja Wurm, sizzierte, warum Netzliteratur Ohne Unterlaß geschieht. Ulrich Bergmann sieht das Thema in seinem Einsprengsel ad gloriam tvvitteraturae! eher kulturpessimistisch. Für Karl Feldkamp ist Twitteratur: Kurz knackig einfühlsam. Jesko Hagen denkt über das fragile Gleichgewicht von Kunst und Politik nach.  Gemeinsam mit Sophie Reyer präsentierte A.J. Weigoni auf KUNO das Projekt Wortspielhalle, welches mit dem lime_lab ausgezeichnet wurde.