Zwischen Aphorismus und Twitteratur

Der Traum des Kritikers ist es, eine Kunst durch ihre Technik zu definieren.

Roland Barthes

Technische Neuerungen sind immer auch eine Chance für scheinbar überholte literarische Formen. Bisher bilden die kleinen Formen, die in jeder Systematik der Literaturwissenschaft neben Epik, Lyrik und Dramatik mit unterschiedlichen Bezeichnungen eine Randgruppe: Epigramm, Sprichwort, Prosagedicht, Kürzestgeschichte, Feuilleton und natürlich der Aphorismus. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus in Form des Mikroblogging eine auflebende Form. Bestand die Modernität der lakonischen Notate bisher in ihrer Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist Twitteratur. Der in der Schwebe gelassene Sinn, die Produktion von Ambiguität – was für Roland Barthes Brecht im Theater geleistet hat, indem er die Sinnfrage zwischen Bühne und Zuschauerraum neu verteilte – findet sich in dieser Kunstform wieder. KUNO stellte drei Protagonisten dieser Literaturgattung näher vor, geht aber auch in diesem Themenjahr auf die Traditionallisten ein.

Ist der Aphorismus eine kleine Gattung?

Ist er gar Kleinkunst?

Gibt es große Aphorismen?

Wann ist das Große klein, wann das Kleine groß? Wer wenn nicht der zur Paradoxie neigende Aphorismus sollte solche Fragen stellen? Zum viertenmal hat das Deutsche Aphorismus-Archiv einen Aphorismenwettbewerb veranstaltet. Der Wettbewerb hatte als Thema die Frage nach dem „Großen im Kleinen“ thematisch bewusst abstrakt, um so den Assoziationen der Aphoristiker/innen weiten Raum zu lassen. Mit 387 Einsendungen bewegte sich die Teilnehmerzahl auf dem hohen Niveau der Vorjahre. Das Thema scheint besonders inspirierend gewesen zu sein, nicht so sehr wegen der Anzahl der Einsendungen; bemerkenswert war vielmehr, wie genau die Autoren sich der vorgegebenen Paradoxie gedanklich und bildlich ausgesetzt haben.

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Im Getriebe wird das Sandkorn zur Macht, Anthologie zum Aphorismenwettbewerb 2014, Herausgegeben von P. Kamburg/F. Spicker/J. Wilbert. „Großes im Kleinen“, Illustrationen von Hans-Joachim Uthke, Bochum 2014

Die Preisträger des Wettbewerbs und die Anthologie werden im Rahmen einer kleinen Feierstunde vorgestellt am So. 18. Mai 11°° Uhr im Alten Rathaus in Hattingen (Eintritt frei)