natur-kunst-spiel-objekte

als künstler kann uwe albert auf frühe naturerfahrungen zurückgreifen. und die beobachtung der natur ist ein wichtiger ursprung des bildhaften wahrnehmens und gestaltens, aus dem kunst entsteht. er berichtet von fahrradfahrten, entdeckungsgängen und geologischen streifzügen mit seinem vater. vielleicht schuf das interesse an formationen der erdkruste bereits ein gespür für künstlerische strukturen. zudem erinnert er sich an momente kindlicher phantasie, die ihn etwa mit kaninchen karten spielen ließ.

das zeichnen und malen in der natur war für uwe albert einer der ausgangspunkte seiner künstlerischen arbeit. landschaften und pflanzen beeindruckten ihn früh. die darstellung der farblich kargen dunkelbraunen ackerlandschaften der magdeburger börde, bei der man sich auf wenige farben konzentrieren muß, betont zunächst das kraftvolle der böden. wer genau hinschaut, wird bemerken, daß diese bilder auch seelenräume zeigen. manche, die braunerdig und lichtdurchflutet zugleich sind, muten wie gegenwelten an. der katalog zeigt das bild >Haus in Hakeborn<, das im bördedorf gleichen namens entstand, neben >Rom 1< und >Rom 2<. für phantasie braucht man nur ein altes haus. der phänomenologe maurice merleau-ponty, der in >Das Auge und der Geist< paul cézanne mit dem satz »Die Natur ist im Inneren« zitierte, nannte das bild »das Innen des Außen und das Außen des Innen«.

die faszination der elbauenlandschaft besteht für uwe albert in der sich zyklisch erneuernden natur. bilder wie >Neue Landschaft< oder >Kreuzgeburt<, die das motiv der landschaft mit dem der frucht und der geburt verbinden, wurden vom anblick eines verletzten baumes mit ovaler und spiralförmiger wunde bei einer wanderung in der elbaue angeregt. im bild >Baumopfer< lassen sich die motivfelder der opferung, des aufgehens und schlüpfens sowie der auferstehung entdecken. das vegetarische symbolisiert wachstum, fülle, heilung und verwandlung. und die frucht enthält, wie die mutter, das leben, das sie spendet. in den mythen mancher völker entstehen die ersten menschen aus bäumen oder pflanzen.

selbst seine stadtlandschaften sind oft eigentlich flußlandschaften, in denen die natur des flusses präsenter ist als die stadtarchitektur. dem fluß nahe fühlt er sich nicht zuletzt, da er oft auf der elbe rudert und sich so mit eigener kraft aus der alltagswirklichkeit in die natur abstößt. die skizzen für die flußaquarelle entstanden teilweise im ruderboot. beim rudern findet er bewegte muße, indem das bewegtsein halt gibt und der bewegungsraum refugium wird.

die körperhaltung beim rudern nähert sich in ihrer ausgangsposition der embryonalstellung, die auch die auferstehung verheißende stellung des toten in der ägyptischen pyramide ist, der darauf wartet, »zum lebenden Tod begeistet zu werden.« (ernst bloch >Das Prinzip Hoffnung<). nach ägyptischer vorstellung kehrten die toten auf einer barke an den anfang der welt zurück und fuhren derart ihrer wiedergeburt entgegen. wer nicht aufersteht, lebt nicht. am grabstein von paul celan wurde ein satz aus seinem tagebuch eingraviert: »Dieseitig bin ich gar nicht faßbar.« der psychoanalytiker otto rank zitierte in seinem buch >Das Trauma der Geburt< freuds beobachtung, »daß die sogenannten „biographischen Träume“ in der Regel von rückwärts nach vorn zu lesen sind (d.h. wunschgemäß mit dem Intrauterinzustand enden)«. merleau-ponty schrieb: »Man sagt, ein Mensch werde in dem Augenblick geboren, in dem das, was im Mutterleib zunächst nur als ein virtuell Sichtbares war, zugleich für uns und für sich selbst sichtbar wird. Das Sehen des Malers ist eine fortwährende Geburt.«

»Ich sehe mich wohl eher als Teil der Natur und nicht als Teil von Menschenmassen.« sagt uwe albert selbst. die hinwendung zum fließenden zeigt das verlangen nach dem einssein mit der natur und einem gewaltlosen sich lösen aus umgrenzungen der menschenwelt. das fließen setzt gewordenem das werden entgegen. in der symbolik der kulturen ist das wasser, der urschoß des lebens, element der schöpfung und erneuerung, bei thales von milet der ursprung aller dinge. goethe konstatierte, wie sehr die seele des menschen dem wasser gleiche. novalis nannte das wasser in >Die Lehrlinge zu Sais< das element der liebe und schrieb: »Wie wenige haben sich noch in die Geheimnisse des Flüssigen vertieft, und manchem ist diese Ahndung des höchsten Genusses und Lebens wohl nie in der trunkenen Seele aufgegangen…Die Berauschten fühlen nur zu gut diese überirdische Wonne des Flüssigen, und am Ende sind alle angenehme Empfindungen in uns mannigfache Zerfließungen, Regungen jener Urgewässer in uns.« lateinisch aqua, das auch heilquelle bedeutet, und deutsch aue gehören etymologisch zusammen. nicht zufällig besitzt uwe albert aquarien, aquaauen hinter glas.

ein früher künstlerischer eindruck für uwe albert war der einer auferstehungsszene von raffael im gebetbuch seiner großmutter. unter den malern, die ihn später anregten, nennt er rembrandt, goya, dürer, grünewald, altdorfer, gauguin, van gogh, beckmann, mueller, kokoschka, de chirico, max ernst, miro, beuys und tinguely. ein wirklicher lehrer ist für ihn der maler günter glombitza (1938 bis 1984) gewesen, den man der >Leipziger Schule< zurechnet. bei ihm besuchte er zeichenkurse und nahm auch privat zeichenunterricht. und er gab ihm, handwerklich streng, aber zugleich locker im umgang, wichtige künstlerische und kunstgeschichtliche anregungen, literaturempfehlungen, einblicke in philosophische und psychologische zusammenhänge und die sprache der symbole sowie manchen guten rat fürs leben, ja prägte ihn menschlich, obwohl der kontakt wegen glombitzas frühem tod nicht einmal zwei jahre dauerte. einen lebenden lehrer, der zeitlose werte vermittelt, braucht der mensch im leben wohl. denn die zeitgeistgemäßen werte, die häufig bloß zu pawlowschen reflexen führen, sind ja doch immer zweifelhaft.

zu uwe alberts künstlerischen arbeiten gehören zeichnungen, radierungen, siebdrucke, aquarelle, eitempera- und ölmalerei, auch als mischtechnik, sowie bücher, plakate und objekte, also gedruckte, gemalte, montierte und bewegte bilder. kunstgeschichtliche begriffe beschäftigen ihn weniger, kunstgeschichtliche korrespondenzen schon, zumal er immer auf der suche nach ursprüngen der wahrnehmung bleibt. der mensch entdeckt in der äußeren welt insbesondere jene dinge, die seiner eigenen erfahrung entsprechen. wir sehen, sagt man, was wir wissen, und wissen, was wir sehen. aber es gibt ausnahmen, unbewußtes sehen und wissen von unsichtbarem, die für kunst gerade wichtig sind. anregungen hierfür empfing uwe albert aus rudolf arnheims buch >Kunst und Sehen / Eine Psychologie des schöpferischen Auges<, worin ihn etwa die beziehungen zwischen künstlerischem handwerk und psychologie interessierten, sowie durch schriften von sigmund freud, erich neumann, claude lévi-strauss, elias canetti, mircea eliade oder konrad lorenz. er nahm jede möglichkeit des unterrichts wahr, etwa beim aktzeichnen an der burg giebichenstein in halle. doch schließlich hat er sich vor allem selbst ausgebildet.

auch seine farben stellt er oft selber her, so bei der eitempera die natürliche emulsion aus dem hühnerei. das universum, die elemente, götter und schamanen gehen in mythen aus eiern, symbolen des ursprungs, hervor, die vielfach zu fruchtbarkeitskulten, auferstehungsriten und initiationen gehörten. bei den bildern und grafiken fallen die vielen halbrunden formen auf, die teils erotische anklänge enthalten, vor allem aber, weil sie an mutterkörper, früchte oder blütenkelche denken lassen, etwas mütterlich bergendes assoziieren und wohl ausdruck einer sehnsucht nach ursprünglichem sind, aus dem noch alles werden kann. uwe albert erklärt die ovalen formen indes auch ganz anders und verweist darauf, daß die mehrfache perspektive, das sehen mit zwei augen, zu ellipsenartigen kompositionen führe.

wer die menschliche figur beherrsche, sagte glombitza einmal zu ihm, könne auch alles andere zeichnen. manche der >Akte<, die stilisiert und natürlich zugleich wirken, erinnern an aktbilder der >Brücke<-maler. doch auch hier bleiben die für uwe alberts kunst typischen halbrunden formen präsent, wenngleich teilweise im hintergrund. indem er bildrealistisch malt und dabei zugleich ins phantastische übergeht, schafft er eine balance zwischen abbildung und verfremdung der realwelt.

>Landschaft mit Akt< wirkt erotisch verlockend und, besonders durch die expressive hintergrundlandschaft, apokalyptisch bedrängend. mir fiel dazu der titel >Die Liebe in Zeiten des Untergangs< ein. in der bildmitte kann man eine sonnenröhre sehen, die, einem windtrichter gleich, zur erde herabreicht, als ob sie vom himmel aus befruchten würde. c.g. jung wies in >Symbole der Wandlung / Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie< darauf hin, »daß der Wind, so gut wie die Sonne, ein Befruchter und Schöpfer ist.« und ergänzte: »Bei einem Maler des deutschen Mittelalters finden wir folgende Darstellung der Zeugung: Vom Himmel kommt eine Röhre oder ein Schlauch herunter und begibt sich unter die Röcke der Maria; darin fliegt in Gestalt der Taube der Heilige Geist herunter zur Befruchtung der Gottesmutter.« erich neumann faßte dies in seinem buch >Die Große Mutter / Eine Phänomenologie der weiblichen Gestaltungen des Unbewußten< noch einmal zusammen: »Der Heilige Geist ist in der Urvorstellung, wie wir aus dem Pfingstwunder wissen, ein gewaltiger Wind.« und »Vom Geiste gilt, daß er durch den Kreis der Sonne heruntersteigt.«

der künstlerische weg von uwe albert war nicht von vornherein vorgezeichnet. nach seinem kybernetik-studium arbeitete er zunächst als forschungsingenieur. bald aber wollte er nicht nur selbstregulierende technische systeme lenken, sondern selber zum eigenständigen system mensch werden. die kybernetik ist von der kunst so weit entfernt wie die chemie von der alchemie. bereits im schulunterricht hatte er kleine galgen aus draht und faden gebastelt, an denen er papierbilder ungeliebter lehrer aufhängte. das war sympathetische magie und zugleich eine vorwegnahme seiner späteren kunstobjekte.

vor allem in der objektkunst spürt man die lust am verfremdenden und dabei auch ironischen spiel. ludwig schumann sagte bei einer ausstellungseröffnung 2008: »Albert stellt seine Ängste an die Wand und versteckt seine Erheiterung hinter der Borke. Er ist ein öffentlich Geängsteter und heimlich Erheiterter.« mario vargas llosa schrieb in einem vorwort zu julio cortázar: »Zerstreuung, Amüsement und Phantasterei, ist das Spiel auch ein Zaubermittel, um die atavistische Angst des Menschen vor der geheimen Anarchie der Welt, vor dem Rätsel seines Ursprungs, seiner Existenz und seines Schicksals zu bannen.«

lateinisch lūdere, das bei catull und vergil ausdrücklich auch das dichten bezeichnet, meint, neben spielen, tanzen, darstellen, scherzen, tändeln oder necken, das sich tummeln der fische, das herumflattern der vögel sowie das plätschern im wasser oder des wassers. bewegungen der natur werden also ebenfalls als spielerisch empfunden. dem spiel eignet intensive bewegung, die wirklichkeiten überspringen kann. platon vermutete, das spielen habe einen ursprung im bedürfnis der tierjungen und menschenkinder, zu springen. die ausgangsbedeutung des deutschen worts spielen war tanzen, sich lebhaft bewegen. heute spricht man deutsch vom spiel der liebe, leidenschaften, sinne, augen, blicke, mundwinkel, muskeln, hände, kinder, katzen, farben, schatten, wellen, schneeflocken, des lebens, lichts, winds, schicksals, teufels oder zufalls.

aufgrund seiner spielerischen kunstauffassung könnte man uwe albert, griechisch antiker vorstellung folgend, einen anti-banausen nennen. egon friedell schrieb in seiner >Kulturgeschichte Griechenlands< über den begriff des banausen: »als banausisch ist alles verrufen, was Zweck hat, was für Geld geschieht, was man machen muß, was deformiert, was übermäßig anstrengt.« so gesehen wäre auch kunst, die sich verwertungszwängen unterwirft, eigentlich banausisch.

kunst, die aus unbewußtem wächst, muß dennoch nicht zweckfrei sein. sie kann alternative zwecke erfüllen. uwe albert verleiht in seiner objektkunst gegenständen durch die art ihrer künstlerischen gestaltung eine aura, also ein erstrahlen des ursprünglichen, und darin etwas überwirkliches im wirklichen. walter benjamin sah in der aura, die entsteht, wenn ein subjekt, ohne sich zu verlieren, in einem objekt aufgeht und umgekehrt, also ein prozeß der entgrenzung und verschmelzung stattfindet, eine rückkehr zu erfahrungen der mütterlichkeit. den dingen eine aura geben heißt, sich in sie einfühlen und sie bergen. durch ich-erweiterung, die bis in die dingwelt hineinreicht, kann so entfremdung aufgehoben werden. solche erlebniswelten des innehaltenden vertiefens und nachdenkens bleiben freilich randerscheinungen der wirklichkeit und sind nur einzelnen zugänglich. uwe albert weiß das aus seiner kunstpädagogischen arbeit mit kindern und jugendlichen, bei der er auch vieles von günter glombitza empfangene weitergibt. die geschwindigkeiten und dekonzentrationen einer gesellschaft, die permanent entfremdungen produziert, auf diese weise fluchtbewegungen auslöst und derart dynamik erzeugt, lassen vertiefungen meist als nicht sehr praktikabel erscheinen und verhindern sie daher eher. dynamische kulturen sind meist oberflächenkulturen. bleibt der kunst bloß noch eine bremsende funktion? immerhin hat der künstler das privileg, daß er die fähigkeit zu muße und konzentration bewahren kann, während die technokratiegelenkten beschleunigungen zunehmend opfer zurücklassen, die am abgeforderten tempo scheitern, verzweifeln und zerbrechen.

wichtig für uwe albert ist das entweder natürliche oder durch manuelle arbeit industrieller verarbeitung und merkantiler verwertung entzogene material. indem in den mitunter skurrilen selbstgebauten technisch-künstlerischen apparaten, skurrilität schafft ein gespür fürs überwirkliche, die oft auch ironie enthalten, objektkunst, kultgegenstand und spielgerät verschmelzen, bilden sie als unikate eine alternative zur welt der austauschbaren glatten oberflächen, präfabrizierten erlebnisse und standardisierten spiele. dadurch können sie sogar einen gebrauchswert bekommen, etwa als nachhaltiges spielzeug. roland barthes konstatierte in seinen >Mythen des Alltags< im text >Spielsachen<: »Ein bestürzendes Zeichen ist das fortschreitende Verschwinden von Holz, ein Stoff, der wegen seiner Festigkeit und seiner Zartheit, der natürlichen Wärme bei der Berührung ideal ist.«

kinderspiele und spielzeuge gingen vielfach aus rituellen handlungen und kultischen gegenständen hervor. was die erwachsenen nicht mehr benötigten, da es für sie seinen magischen wert verloren hatte, das überließen sie den kindern zum spiel, die so kulturgeschichte im zeitraffer erleben. philippe ariès nannte spiele in seiner >Geschichte der Kindheit< »eine Art Sammelbecken für kollektive Äußerungen … die von der Gesellschaft säkularisiert« wurden. auch kunst greift häufig auf produkte, techniken, materialien und wahrnehmungsweisen zurück, die im gewöhnlichen leben als nicht zeitgemäß gelten und transformiert sie auf ihre weise, so daß sie, ihre profanität übersteigend, neu auferstehn. »In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen.« heißts bei benjamin.

in der nordischen überlieferung verfügen die zwerge, schöpferische wesen, die im verborgenen schaffen, über handwerkliche fähigkeiten bei der herstellung magischer dinge, die den göttern fehlen. und so wirds wohl auch in der technokratischen welt kommen. produkte der zwerge, die in der >Älteren Edda< »die Weisen der Felsenwand« heißen, vier zwerge tragen altnordisch den himmel an den ecken der erde, sind thors strafender, befruchtender und heilender hammer mjöllnir, freyrs magisches schiff skíðblaðnir, das bei landgang in einem beutel verstaut werden kann und auf see immer guten wind hat, was an siebenmeilenstiefel, flügelschuhe und fliegenden teppich erinnert, oder der eber gullinborsti, der freyrs wagen zieht, zu jeder tageszeit schneller als jedes pferd durch die luft und über wasser laufen kann und dessen borsten nachts golden leuchten. der zwergenkönig alberich wiederum hütet den nibelungenschatz.

der verlust manueller fähigkeiten tut der kunst nicht gut. uwe alberts objekte, bei deren entstehung sozusagen das ingeniöse, also die angeborene schöpferische gabe, vom ingenieur abgewandert ist, besitzen materialwert, spielwert, kunstwert und symbolwert, wobei der materialwert teil des kunstwerts ist und darin aufgehoben wird. und sie können den betrachter zum unbefangenen sehen, hören und tasten sowie zur beobachtung von bewegungen anregen und derart das gefühl für ganzheitliche strukturen und abläufe fördern. der künstler bezieht seine kunstobjekte auch in die gestaltung seines wohnhauses ein. eine tür der unteren etage beispielsweise wird von ruderstangen umrahmt, wodurch ein beinahe prähistorisch anmutendes rudertor entsteht. wenn meisen in einer nicht mehr genutzten wasserpumpe auf seinem hof ihr nest bauten, eier legten sowie junge ausbrüteten und aufzogen, scheinen sie umgekehrt seine objektkunst nachgeahmt zu haben.

uwe albert sagt selbst, daß für ihn kunst und technik nicht unvereinbar seien, wenn der künstler sie auf seine weise, ohne nur technischen automatismen zu folgen, gestaltet. immerhin konstruierte leonardo da vinci unterwasserboote und matthias grünewald war wasserbauingenieur. bei uwe albert finden sich eine mechanische spieluhr in einem buch, filmapparate, die aussehen wie vor der entstehung des films gebaut, eine filmrolle, die zeitungsmontagen in einem rollbild zeigt, zeitungen werden häufig erst interessant, nachdem sie zeitlos geworden sind, oder der flugfrosch rhacophorus, der einem seiltänzer gleich über ein seil tanzt.

man betrachtet die objekte, um sie zu verstehen, am besten von allen seiten, sozusagen mit einem all-blick, und detailliert sowie mit muße und in stille, also ungestört, so >Kosmische Melodie<, wo die bewegung klänge erzeugt, die aus der ferne zu kommen scheinen, während acht glaskugeln an fäden als himmelskörper die erde, das heißt einen globus aus holz, umkreisen. bei pythagoras, pindar und platon sind die sirenen schöpferinnen der sphärenmusik. in platons >Staat< steht auf jeder der acht kreisenden himmelssphären eine sirene, die jeweils einen ton für die harmonie der sphären erklingen läßt.

die achtzahl der himmelssphären, die man auch gnostisch findet, hat ebenfalls symbolbedeutung. die acht kann das unendliche, universelle, umfassende sowie ewigen kreislauf, neuschöpfung und glücklichen anfang symbolisieren, christlich wiedergeburt. acht menschen überlebten auf der arche noahs die sintflut, die frühchristliche autoren eine taufe der welt nannten. buddhistisch ist die acht der schlüssel zum nächsten leben. acht pfade führen aus der stofflichen existenz heraus zur erleuchtung und befreien vom leiden. die ägypter kannten acht urkräfte vor der entstehung der welt, die etrusker acht weltzeitalter. der hinduistische gott vishnu besitzt acht weltumspannende arme.

gehalten wird >Kosmische Melodie<, und damit die welt, von messingstäben und gewichten aus fensterkitt. so sind hier das heilige und das profane vereint. den weltenmantel bildet das holz einer vom blitz getroffenen weide. das objekt insgesamt läßt den weltenbaum assoziieren, der, indem er himmel, erde und unterwelt verbindet sowie das himmelsgewölbe stützt, als kosmische architektur die ganzheit der welt umfaßt, in deren zentrum er steht. jüdisch entspricht der siebenarmige leuchter dem himmelsbaum, der die himmelskörper trägt. in der alchemie entsprechen metalle planeten. im grunde sehen wir bis heute die planeten um die erde kreisen, da dies unserer subjektiven wahrnehmung folgt und uns offenbar beruhigt.

die sarkastischen >Kurzschlussbilder<, gewissermaßen objekte, oder anti-objekte, in bildern, lassen an den golem, die automate-figuren bei e.t.a. hoffmann sowie goethes zauberlehrling oder den von faust geschaffenen homunculus denken, der keine seele besitzt und deshalb retortenwesen bleibt. einige der figuren dieser bilder, die offenkundig keinerlei individuelle eigenart mehr haben, und daher auch nichts verführerisches, das ihnen ein techniker als magier mitgeben könnte, gleichen außer kontrolle geratenen robotern, die durch ihr instinkthaft animalisch anmutendes automatisches funktionieren zerstörerisch wirken, ja ihre schöpfer überwältigen könnten. man fragt sich, ob sie vielleicht massen oder meuten verkörpern oder manipulierte und so verwunschene menschen seien, die erlöst werden sollten.

uwe albert zeigt hier die logik von prozessen, die als gesetzt gelten und deshalb kaum mehr hinterfragt werden, so daß sie einen hektisch erregten, ja rasenden stillstand produzieren können, bei dem die permanente bewegung, die alles zahnradmäßig ineinandergreifen läßt, die illusion eines unendlichen andauerns bestehender verhältnisse schafft und dafür sorgt, daß gerade keine substantielle veränderung stattfindet, bis die tragenden strukturen und denkbilder zusammenbrechen. und er stellt figuren dar, die, auch in ihrem eigenen handeln, solchen abläufen ausgeliefert sind, da sich ihre vitalität und dynamik instrumentell verselbständigt. indem sie ihr bewegungstempo deformiert, werden sie zur bedrohung für sich und andere. manche wirken wie riesenhafte marschierende schrotthaufen, über denen auf einigen bildern krähen kreisen. riesen galten als wesen der unmenschlichen außenwelt, in der weder götter noch menschen leben, und krähen waren todesgalgenundteufelsvögel.

was futuristen in technikutopischen größenphantasien entwarfen, sieht uwe albert, der einer funktionalen ästhetisierung menschlicher lebensräume ebenso mißtraut wie der technisierung der illusionen, kritisch. für ihn hat alle bloß zweckhafte technik und ästhetik jeden reiz verloren. »Die Kältetendenz rührt vom Eindringen der Physik in die moralische Idee.« schrieb ossip mandelstam. brecht meinte, die naturschwärmerei käme von der unbewohnbarkeit der städte. die technikdämonen haben die naturdämonen längst ersetzt.

ich sehe parallelen der >Kurzschlussbilder< zu bildern, grafiken und zeichnungen von wolfgang mattheuer aus den 70er und 80er jahren, die motivisch der plastik >Jahrhundertschritt< vorausgingen und titel wie >Im Räderwerk<, >Im Teufelskreis<, >Sisyphos im Rad<, >Verlust der Mitte<, >Verlorene Mitte<, >Zwiespalt<, >Zerrissenheit< oder >Aggression< trugen. >Verlorene Mitte< etwa zeigt die figur eines menschen mit zerstreckten gliedmaßen, die sich, reduziert auf je eine funktion, verselbständigt haben, so daß der körper als ganzes infolge der instrumentalisierung seiner teile aufgelöst wird und damit seine haltgebende und integrierende, also letztlich menschliche, substanz einbüßt. allein eine innere mitte, die das gleichgewicht der person trägt und zugleich aus diesem erwächst, könnte verschiedene und auch konträre bewegungen so miteinander verbinden, daß körper, geist und seele halbwegs unversehrt bestehen bleiben. und eine solche balance gibt es ja, bei kindern, die gerade beginnen, sich ganz als subjekt zu begreifen. die verschiedenen gesellschaften der menschheitsgeschichte indes, vorübergehende versuchsanordnungen, haben bloß unterschiedliche menschenlaufräder erfunden und installiert. und sie verachten die laufräder der andern, eben weil sie eigene betreiben. die laufräder der zukunft können vielfältige erscheinungsformen annehmen. verkörperungen neigen zur verwandlung. heute sind die menschen weniger untergebene eines über-ich und statt dessen mehr marionetten ihrer eigenen egoismen, das heißt zappeln an den fäden eines ich, das kein selbst ist.

kinder und jugendliche, die geschwindigkeitsintensiv und mit starken lautkulissen aufwachsen, empfinden ruhe und stille teils als bedrohlich, weil ihnen beschleunigungen und laute akustische eindrücke das gefühl der vertrautheit und geborgenheit geben. selbst in aktuelle amokläufe, die etwas zeitrafferhaftes haben, wirkt, neben anderen faktoren, ein zeitgeistgemäßer geschwindigkeitskult hinein, der permanente wechsel verlangt, zwischen aufeinander folgenden moden ebenso wie zwischen leben und tod. scheindifferenzen schaffen indifferenzen und diese befördern dann unter umständen gewalttaten, bei denen die akteure das virtuelle, fiktive, phantasierte, gespielte und das real geschehende nicht mehr unterscheiden. so gesehen können bremsungen der lebensabläufe, die innehalten, nachdenken, einordnen und relativieren lassen, befriedend wirken. ich empfehle die arbeiten von uwe albert einem zugleich symbolischen und psychologischen verständnis.

2010, überarbeitet 2012.

 

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Bilder-Bücher-Apparate von Uwe Albert, Weberknecht-Edition, Magdeburg

Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013. Heute findet ab 20:00 Uhr die Buchpräsentation in Magdeburg statt. Ort: Grünes Tor, Geschwister-Scholl-Straße 16

Weiterführend

Lesen Sie auch einen Essay über das Künstlerbuch Fragment Heimat, von Uwe Albert. Zum Thema Künstlerbucher lesen Sie bitte auch den Artikel von J.C. Albers. Vertiefend zu ‘Alphabetikon’ lesen Sie bitte das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.