malschreiben

Die Malerei sei „stumme Poesie“, die Poesie hingegen „beredte Malerei“, hieß es im klassischen Altertum, als man über den Wettbewerb der als verwandt betrachteten Künste nachdachte. Birgit Jensen ist Malerin. Sie verzichtet dabei auf den manuellen Duktus des Pinsels, indem sie sich des Siebdruckverfahrens bedient, das sie zu immer größeren Formaten ausreizt. Jensens Bilder sind schweigsam, und doch scheinen sie zu uns zu sprechen. Unsagbar schwer aber ist es, ihre Sprache in die Sprache der Laute und Schriftzeichen zu übersetzen. Völlig schlüssig ist daher in ihrer Arbeit die Auseinandersetzung mit Künstlerbüchern. Das Moment zeitgebundener Subjektivität, das in diesem Verfahren steckt, ist augenfällig. Es findet ein Korrektiv einzig in dem selbst wiederum schwer zu erfassenden Geist der Zeit, in der das Bild geschaffen wurde.

In einer Situation, wo Preisrekorde auf Auktionen regelmäßig mit künstlerischer Bedeutung verwechselt werden, bietet sich die Arbeit an Künstlerbüchern als Nebenschauplatz an. Künstler–, Maler– oder eben Künstlerbücher findet man nicht in einem Supermarkt für Bücher. Künstler wie Jensen sind individualistische Zeitgenossen. Weil ihre Bücher so selten sind und meist nur in kleinen Auflagen erscheinen, werden diese auch als ‘rare books’ bezeichnet. Das Künstlerbuch hat es beim Betrachter schwerer als das Bild. Man muß es aufschlagen und kann es nicht an die Wand nageln.

Die Künstlerbücher dieser Artistin sind so vielsprachig und vielschichtig wie die Sprache der modernen Kunst und übergreifend wie die der menschlichen Kommunikation überhaupt. Wenn diese ausgestellt werden, so handelt es sich immer um einen Kompromiss, denn das Buch will gelesen, berührt werden, hier muß man es allerdings schonen. Jensens Künstlerbücher sind ein eigenständiges Genre der bildenden Kunst.

Wer schreibt, der kennt die Situation im Angesicht des Nichts. Der Tisch wird zu einem verkommenen Ufer. Mit dem ersten Wort auf dem leeren Papier hat man das Gefühl, man springe in den Rhein. Es ist ein langwieriger Häutungsprozesses, den das literarische Schreiben bedeutet. Das ist immer noch ein Wunder für Francisca Ricinski. Sie kann sich mit nichts an einen Tisch setzen, und von irgendwoher kommt dieses Etwas, das vielleicht einmal zu einem Buch wird. Schreiben ist die beste Möglichkeit, um Personen, Handlungen und Konflikte verstehen zu lernen, Motive können nur aufrühren, wenn es Motive von Fall, Flucht und Verfolgung, von Gleichgültigkeit, Auflehnung und verfehlter Lebensgründung sind. Die Aufgabe der Poesie ist die Entdeckung des Typischen im Exzeptionellen. Die Wahrheit der Paradoxie steckt auch in den Texten der in Tupilati / Rumänien geborenen Autorin Francisca Ricinski; sie müssen gegen den Strich gelesen werden.

Ricinskis Prosa ist raffiniert genug, seine Form nicht einfach zu behaupten, sondern auch zu zeigen, was sie überwinden will. Wer ihren besonderen Ton schätzt, jene Mischung aus Märchenanklängen, sprachschöpferischem Furor, gepflegter Schnoddrigkeit und etwas manierierter Erdenschwere, der wird mit den silikonweichen Pfoten erstklassig bedient. Durchgehend erweist sie sich als Meisterin des zwar nicht düsteren, aber doch gedrückten Tons. Eines Stils, der traurig, aber niemals sentimental ist. In der vermeintlichen Nähe zeigt sich zugleich die Ferne.

Der Ton ihrer Kurzgeschichten ist ambivalent: Härte, gedämpft durch Sentimentalität; Grobheiten mit einer Beimischung von Herzensgüte. Dem Spiegelkabinett können wir bei Ricinski nicht entrinnen. Das es ist der Kern ihres Denkens: Versöhnung von sich ausschließenden Kräften, sie zeigt, daß die Seele mit der Zauberkraft der Kunst und der Phantasie überleben kann.

   

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malschreiben von Birgit Jensen, mit Francisca Ricinski

Rheintor, Linz – Anno Domini 2011, Edition Das Labor 2011. – Limitierte und handsignierte Auflage von 100 Exemplaren. – Dem Exemplar 1 – 50 liegt ein Holzschnitt von Haimo Hieronymus bei.

Rheintor, Photo: Klaus Krumscheid

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