Eine Erinnerung an Kurt Kramer

 

Das Buch „Ikarus bleibt oben – Vogelgesänge, Gedichte von Sehnsucht und Liebe“ ist erst nach seinem plötzlichen Tod erschienen. Daß er malte, wußten wir vom Morgen-Kreis – dem er mit seinem ganzen Herzen angehörte – alle, daß er auch schrieb, Lyrik und anderes, wußte kaum jemand; er trat auch nie als Autor in Erscheinung. Das Schreiben war seine zweite Begabung und ein Ventil zu seinem Malen und zur bildnerischen Gestaltung. Der Kurt Kramer, von uns meist „der Kurtl (Kramer)“ genannt, war einer der liebenswürdigsten, gütigsten Menschen, die mir im Leben begegnet sind. Er hatte ein Benehmen und Manieren von ausgesuchter Höflichkeit. Der konnte auch schon einmal „Küß die Hand, Gnädige Frau!“ sagen, ohne daß das peinlich war; es paßte einfach zu ihm. Seine Familie, seine Frau Maria und die Zwillingstöchter, die ich nie unterscheiden konnte, waren sein Alles. Aber er mochte auch gerne Freunde und er hatte die auch gern um sich. So lud er oft zu einem Fest in sein Dachgarten-Atelier in der Engerthstraße im zweiten Bezirk ein. Dort sprach er, auf alles eingehend und mit freundlicher, ja freundschaftlicher Zuwendung mit jedem und jeder. Mit manchen unterhielt er sich länger. Meine Gespräche mit ihm drehten sich, neben der stets ernst gemeinten und Anteil nehmenden Frage, wie es einem denn gehe, sehr oft um Philosophisches, jedenfalls um Menschen- und Weltbildsicht. Ich mochte diese Gespräche. Und er war so ganz anders als ich. Er war gütig, ich aufbrausend. Er war milde, ich kantig und scharf, manchmal auch verletzend. Er versuchte, überall auszugleichen, ich trieb alles auf die Spitze. Er war ein Anhänger und Vertreter der Harmonie, des Harmonischen und Versöhnlichen, bei sich und anderen. Er sah stets alles als Ganzes, als Einheit, so wie das Weltall, der Kosmos, wie er einmal meinte. Ich brachte alles auf den Schnittpunkt, klammerte mir nebensächlich Erscheinendes aus, war und bin ein Mensch des Widerspruches und daraus einer, der zur Konfrontation neigt, schnell bei einer solchen landet, sie manchmal auch ganz gerne hat; was anderen oft auf die Nerven geht. So war also unsere Beziehung, aus unser beider Wesen heraus; grundverschieden waren wir. Und doch respektierte einer den anderen. Er erklärte mir hingebungsvoll seine Pflanzen auf dem Dachgarten, zeigte mir die Bewässerungsanlage, die er installiert hatte. Ich bewunderte das. Ich mag Pflanzen, hatte auch welche auf meiner Dachterrasse stehen, als ich vor langer Zeit im gleichen Häuserblock wohnte, aber nur ein Jahr; denn ich fand das Ganze inklusive Gegend dort schrecklich. Dem Kurtl schien das nichts auszumachen, er lebte sowieso in anderen Sphären. Seine Kunst, seine Gedanken, sein Dichten, seine Betrachtungen, seine Einsichten und der Himmel waren ihm wichtiger als Einzelheiten. Wiederum das Ganze, das er in allem sah, das er überall suchte und auch fand. Die Todesnachricht traf mich schmerzhaft. Beim Begräbnis war ich tief erschüttert. Ich stand abseits, ganz am Rande der um sein Grab Versammelten: seiner Familie, seiner Verwandten, seiner Freunde und Bekannten. Und als der Sarg mit dem Kurtl in die Grube hinabgelassen wurde, sah ich mit Tränen in den Augen hinauf zum Himmel; so als suchte ich ihn bereits dort.

 

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.