Kiesel & Kastanie

Theo Breuer kenne ich seit vielen Jahren. Er ist Lehrerkollege. Aber viel wichtiger: Er ist Lyriker und Essayist und ganz besonders Herausgeber zeitgenössischer Autoren. In seinem neuesten Buch, Kiesel & Kastanie, stellt Theo Breuer Lyriker und Prosaschriftsteller der letzten Jahre vor. Im gleichen Band, der eine Reihe von Vor- und Zwischenworten über das Lesen und die Literatur enthält, berichtet Theo Breuer auch von seinen Leseerfahrungen. Ich weiß keinen besseren Kenner der zeitgenössischen Literatur, insbesondere im Bereich auch der Autoren, die nicht so bekannt sind.

Ich begreife ihn so: Er traut den (Print-)Medien nicht, aber er muss sich ihrer bedienen wie alle. Allerdings in einer anderen Liga. Er meint überdies: Die Erste Liga ist nicht durchweg besser als die Zweite Liga der Literatur, der er sich als Leser und Schreiber verschrieben hat. Wir leben alle in ähnlichen Widersprüchen. Wir sind kapitalismuskritisch – aber wir leben in diesem System und arbeiten darin mit, egal wie widerwillig. So ist es bei Theo Breuer mit dem Literaturbetrieb, dem er nicht traut.

Sein Argument der Quantität: Im Unterschied zu früheren Zeiten kann heute nicht mehr mit der gleichen Sicherheit Literaturgeschichte geschrieben werden. Keiner kann alles lesen, noch nicht einmal so viel wie nötig, um Literaturgeschichte zu schreiben. Auch kollektiv klappt das (noch) nicht. Der Prozess der Konsensualisierung funktioniert nicht mehr so wie früher, und Theo Breuer misstraut der elitären Filterung der Literatur.

Er hat recht, glaube ich. Literaturklassifizierung und -bewertung löst sich heute immer mehr auf in der Demokratisierung und Globalisierung und Relativierung von Literatur. Es gibt – polemisch formuliert – bald mehr Autoren als Leser…

Über Theo Breuer ließe sich leicht eine Novelle schreiben – über seinen Versuch, die ganze Literatur zu lesen, zu vermessen und zu sieben. Er ist gescheitert, muss aber immer weiter lesen. Er rennt, ein lesender Hase, dem Igel Literatur hoffnungslos hinterher.

Er kann das Medium, das er liebt, nicht zerstören. Der Leser von heute will schreiben, weil er muss.

Er weiß selbst, dass er eine doppelte Existenz führt – er sprach mit mir letzten Mittwoch darüber -, aber er will es so, er ist gern Lehrer, und er kann sich auch eine andere geldberufliche Tätigkeit vorstellen. Einen Widerspruch sieht er in seiner doppelten Existenz nicht. Beide Berufe sind ihm Berufung.

Er ist 51.

Theo Breuer ist in Sachen Literatur kein akademischer Denker (ich auch nicht), sondern ein Liebhaber, ein Kenner, ein Intuitionist und Beurteiler aus dem Herzen (das bin ich nicht so primär wie er). Lesen Sie seine Webseite, bestellen Sie seine Bücher, lesen Sie seine weitschweifigen Vor- und Zwischenworte… Das alles ist allemal interessant. Er ist ein eher angelsächsisch denkender Leser mit dem Ausblick und Überblick eines Eiflers, der den Sistiger Himmel aufreißt zu allen Horizonten der Erde…

 

 

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Kiesel & Kastanie, von Theo Breuer. Von neuen Gedichten und Geschichten, 312 Seiten, Edition YE. Sistig/Eifel 2008

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Vom Rand aus arbeiten wir auf dem Online-Magazin Kulturnotizen (KUNO) daran, den  Kanon zu erweitern. Die Idee zum Projekt Das Labor ist ein viertel Jahrhundert alt. Wer über hinreichend Neugierde, Geduld, Optimismus und langen Atem verfügte, konnte in den letzten 25 Jahren die Entstehung einer Edition beobachten, die weder mit Pathos noch mit Welterlösungsphatasien daherkam. Die zeitliche Abfolge der projektorientierten Arbeit ist nachzuvollziehen in der Chronik der Edition Das Labor. Weitere Porträts finden Sie in unserem Online-Archiv, z.B. eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus Metropole und Hinterland. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel außerdem Ulrich Bergmann, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz. Lesen Sie auch den Essay über die Arbeit von Francisca Ricinski und eine Würdigung von Theo Breuer. Und nicht zuletzt den Nachruf auf Peter Meilchen.