Ironie von langer Faszination

das wollte ich nicht, aber die finanzkrise der kommunen
hatte auch diesen autobahnabschnitt  erfasst:

wie sich die gelben Engel inzwischen selbst reparierten,
bei völliger dunkelheit, diese insektenhaft
nach außen gestülpte intelligenz.
wir wollten das hier überhaupt nur aufbauen,
um es hinterher wieder abreißen zu können.

vorerst lagen die raststätten jedoch zu strategisch,
in die landschaft geschmiegt,
als dass man sie ohne weiteres hätte nehmen können
schwankend aussteigen, um zu helfen,
hier war übrigens nur eine tragfläche abgerissen,
sonst alles in ordnung.

dann sahen wir clausewitz von hinten,
auf seinem rücken bewegte sich etwas,
radwechsel … äh.

    es gab da so viele truppen, die wir vergessen hatten,
kleine truppen, beamte,
die aus dem fenster geworfen worden waren,
die luftwaffe konnte sie nicht mehr abfangen,
das wollte ich nicht.

 

Daniel Falb

 

Dieses Gedicht von Daniel Falb fand ich 2004 in „Zeichen und Wunder“. Es faszinierte mich schon beim ersten Lesen. Die Faszination blieb auch bei mehrmaliger Lektüre an verschiedenen Tagen unverändert stark; offensichtlich handelt es sich um ein Gedicht, von dem man mit Benn sagen kann, das es von „langer Faszination“ ist, jedenfalls für mich.

Das Gedicht beginnt und endet mit dem Satz „das wollte ich nicht“. Irgendetwas ist schief gegangen. Was das ist, bleibt unklar. Die Stimmung des Gedichts – scheinbar konträr zum Inhalt – kann man vielleicht am besten mit „Trauer und Empathie“ beschreiben. Die Sprache ist eine Mischung aus Umgangs- und Kriegsschulenjargon. Ein changierender Text. Undeutlich aber das sehr genau. Müssen wir hier auch von „Ironie“ sprechen? Natürlich müssen wir heute immer auch von Ironie sprechen, und es ist fast schon „unprofessionell“ das überhaupt noch zu erwähnen.

Warum hat das Gedicht (jedenfalls für mich) diese starke Faszination? Die Liste möglicher Gründe für die Wirkung eines Gedichts ist lang. Der Rhythmus / die Gangart des Gedichts spielt immer eine wichtige Rolle, die Qualität und Häufigkeit der thematischen und sprachlichen Einfälle („Ein Gedicht wird aus Einfällen gemacht“, Peter Rühmkorf), die Menge an raffiniert verstecktem bildungsbürgerlichen Wissensgut … und vieles mehr. Doch das alles war es im vorliegenden Fall nicht. Es ist wohl einfach so, dass sich die wahren und entscheidenden Gründe für die Wirkung dieses Gedichts (und manch anderer) nicht ordentlich analytisch erfassen, beschreiben, benennen lassen, ein Sachverhalt, den Gerhard Falkner (im Nachwort zu Falbs Band „die räumung dieser parks“, 2003) sehr klar formuliert hat: Es ist „diese Klippe auf das Unverständliche hinaus, (der) echte Poesie ihre seltsam berauschende Wirkung verdankt“.

Natürlich stehen die Falbschen Biotope nicht völlig isoliert in der lyrischen Landschaft. In mancher Hinsicht ähnliche Gedichte schreibt der US-amerikanische Lyriker Ben Lerner (*1979, „The Lichtenberg Figures“, deutsche Ausgabe 2011). „Mein Hybridstil hat sich zu einem eigenen Genre entwickelt“, heißt es in einem seiner Gedichte- Das trifft zu, aber lange vor Lerner und Falb hat Gottfried Benn in seinem Buch „Doppelleben“ (1950) den „Stil der Zukunft“ als „Montagekunst“ bezeichnet  und beschrieben: „Nichts wird stofflich-psychologisch mehr verflochten, alles angeschlagen, nichts durchgeführt. Alles bleibt offen … Wenn der Mann danach ist, kann der erste Vers aus dem Kursbuch sein und der zweite eine Gesangbuchstrophe und der dritte ein Mikoschwitz und das Ganze ist doch ein Gedicht …“

Man sollte nicht argwöhnen, dass Gedichte, wie sie Benn vorausgesehen hat, Falb, Lerner und andere in unseren Tagen geschrieben haben, frei sind von jeglichem Ernst, jeder Aussage. Ernst und Aussage sind „disguised“ in diesen Gedichten, auf hinterhältige Art. „Ich wünschte, alle schwierigen Gedichte wären tief. / Hupen Sie, wenn Sie wünschten, alle schwierigen Gedichte wären tief“ (Ben Lerner).

 

 

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Der Lyriker, Essayist und Aphoristiker Maximilian Zander veröffentlichte seit Mitte der 1990er-Jahre Gedichte und Aphorismen. Seine lakonischen (immer wieder auch metalyrischen) Gedichte, die u. a. in Literaturzeitschriften wie ndl, Muschelhaufen, Faltblatt und Anthologien wie Axel Kutsch, Versnetze (2005) oder Theo Breuer, NordWestSüdOst (2003) sowie in bislang vier Gedichtbänden erschienen, setzen sich auf ironisch-distanzierte Art und Weise mit Alltag und Gesellschaft aus der Sicht eines welterfahrenen Menschen auseinander.

Weiterführend →

Lesen Sie auch seinen Essay über Lyrik.