Lyrics als dunkles Echo der Seele

As a sleeper in metropolis, you are insignificance. Dreams become entangled in the system.

Anne Clark

In der Entwicklung des Spoken Word waren die Poeten der Beat Generation wie William S. Burroughs oder der Punk-Poet John Cooper Clarke wichtige Vorreiter für Anne Clark. Sie verwandelt den Rhythmus der Sprache in eine einzigartig groovende Musik. Zu Beginn der 1980-er Jahre sorgten New Wave Klassiker wie „Our Darkness“ und „Sleeper in Metropolis“ für einen Rausch der Begeisterung, die Tanzende und Generationen von Musikern zugleich inspirierte. Ihre analogen Synthesizer-Sounds machten die düstere Poetin zu einer Wegbereiterin des Techno. Mit existentialistischen Lyrics, handfester Poesie und akustischen Experimenten schuf Clark ein Repertoire elektronischer Musik, das von Lyrics imprägniert wurde.

In ihren Rezitationen kombiniert Clark literarische, sozial engagierte Texte mit genreübergreifender Musik und deckt dabei alle Stilrichtungen ab, ohne dabei ihre eigene Identität auf jeder einzelnen Aufnahme zu verlieren – vom Wordprocessing (bevor Sampling zum Konzept wurde) und der elektronisch bearbeiteten Akustik von »The Sitting Room« (1982) bis hin zu ihrem bahnbrechenden analogen Synthesizer-Klassiker „Sleeper in Metropolis“. Ein Grund sich dieser Klassiker der popmodernen Tanzmusik genauer anzuhören.

„Sleeper in Metropolis“ schrieb Anne Clark zusammen mit dem Keyboarder David Harrow. Es wurde ihrem zweiten Studio-Album »Changing Places« veröffentlichte. Harrow war Mitglied der Band Psychic TV – einer Rockband, die zu den Hauptvertretern der Post-Industrial-Szene zählt – und unterstützte Anne Clarks Sprechgesang durch seine pulsierende Musik. Bereits das erste Album The Sitting Room machte Anne Clark in der New-Wave-Szene bekannt, vor allem dank „Sleeper in Metropolis“ wurde Changing Places allerdings deutlich breiter wahrgenommen. „Sleeper in Metropolis“ war ein Erfolg auf den Tanzflächen, zumindest in den Clubs, die von Dark-Wave-Fans frequentiert wurden. Dieser Synthie-Stomper traf den Nerv der New-Wave-Gemeinde, zu deren Propheten Anne Clark in der Folge erkoren wurde. Die Songs „Sleeper in Metropolis“ und „Our Darkness“ wurden als „Dark-Wave-Meilensteine“ bezeichnet, die auch eine Dekade später nichts von ihrem dunklen Spirit verloren haben.

Wie andere Titel von Anne Clark ist auch „Sleeper in Metropolis“ ein mit Keyboard- und Synthesizer-Begleitung vorgetragenes Gedicht, wobei Anne Clark die Zeilen nicht singt, sondern rezitiert. Anders als andere Lieder der Künstlerin besteht die musikalische Begleitung allerdings aus rhythmischen Beats neben dem obligatorischen Klangteppich. Der Text ist eine apokalyptische Mischung aus Weltschmerz und Fortschrittskritik. Der verschlafene Bewohner der Großstadt zieht sich zurück in die falsche Gemütlichkeit seiner Wohnung, während die Stadt sich immer weiter in die Natur frisst. Dazu skizziert das Lied die Lebensumstände des Schläfers:

“Conditioned air
Conditions sedated breathing
The sensation of viscose sheets on naked flesh
Soft and warm
But lonesome in the blackened ocean of night”

 

In diesem Tenor endet der Text dann auch in der finalen dystopischen Zeile:

 

“What a waste
The City –
A wasting disease”

Es ist an der Zeit, den Wohnsitz zu wechseln! Und in Begleitung von Jean Jacques Rousseau geht es zurück zur Natur;-)

 

 

 

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Changing Places, Anne Clark, 1983

Weiterführend Im typischen Gestus junger Dichter hasste Arthur Rimbaud die kleinbürgerliche Enge seiner Vaterstadt, was z. B. in dem satirischen Gedicht À la musique (An die Musik) zum Ausdruck kommt, er ist der erste Rockstar der Poesie. Dichter wie der Dub-Poet Linton Kwesi Johnson, der Punk-Poet John Cooper Clarke, der Lo-Fi-Poet Dan Treacy, der Spät-Expressionist Peter Hein, der Lizard-King Jim Morrison und die Grandma des Punk Patti Smith nutzten Musik als Transportmittel für ihre Lyrics und präsentieren spezifische Haltungen sozialer wie performativer Art. Und eigentlich könnte auch: „Dylan gut ohne den Nobelpreis für Literatur weiterleben und -arbeiten. Er ist auch kein genuiner Kandidat, insofern er halt kein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, sondern ein Singer-Songwriter.“ (Heinrich Detering). Vielleicht zögert er deshalb so lange mit seiner Zusage? – Solche „Auszeichnungen sind wie Hämorrhoiden – Irgendwann kriegt sie jedes Arschloch.“, schrieb Billy Wilder. Es gibt im Leben sowie in der Kunst unterschiedliche Formen von Erfolg. Zum einen gibt es die Auszeichnung durch Preise und Stipendien, zum anderen die Anerkennung durch die Kolleginnen und Kollegen.

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe