Der Fallensteller

 

Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache

Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen,
und für Singvögel. Wieviele heute Fallen stellen,
bleibt dunkel.

Der Hof war von der Außenwelt abgeschlossen, nein, wie abgeschlossen. Er war ja durch wenige Fenster einsehbar, auch wenn sie tagsüber durch Vorhänge verschlossen bleiben. Die fast immer verdunkelten Fenster nahmen den Hof gefangen. Die winzigen Vogelkäfige aus leichtem, angerostetem Metall, die an den Haken genau mittig vor den Fensterkreuzen hingen, waren leer. So waren sie ein leichtes zeitloses Spielzeug für den Wind. Manchmal segelte eine graue Feder auf den schmutzigen Teerboden, auf dem nur die Tonnen standen und ein winziges Stück aschebedeckter Rasen vor sich hinfaulte. Laute drangen nicht aus den Häusern.

So lange trug er schon den Brief mit sich herum, dass er ihn nie mehr aus der Hand geben wollte. Mit dem Brief würde er sein künftiges Leben einrichten. Immer, wenn er an dem Haus vorbeigekommen war, hatte er überlegt: Sollte er ihn in den Briefkasten werfen oder in den kühlen Flur treten, der durch eine weitere weit geöffnete Tür den Blick in das dunkle Hofgeviert freigab? Die Welt, die er dort ahnte, die sich aus allen nur unvorstellbaren Abwesenheiten zusammensetzte und als eine Art dunkler Materie brodelte, die bis jetzt ohne ihn hatte existieren müssen, wollte er nicht deuten noch einordnen. Da war ja der Brief.

Einmal dachte er: Plötzlich steht man drinnen für immer, man hat kaum gezögert einzutreten.

Ab jetzt verbesserte er sich wie ein Kind, das nicht mehr stottern will. Die Gefahr, in der er lebte, hatte ihm einen besonnenen Schritt diktiert. In seiner Stimme lag immer der drohende Unterton laxer Banditen der frühen Filmpionierjahre. Abends stand er länger vor den hell erleuchteten Fenstern seines Hauses. In drei Himmelsrichtungen schaute das Haus. Ja, er besaß ein Haus, und in seiner Hosentasche steckte die Hand mit dem Brief. Immer hantierte jemand in den Zimmern seines Eigentums. Er dachte an den abweisenden Hof mit den leeren, leichten Käfigen im Wind.

Er ging ins Haus zurück und verbat sich bei den stillen Bewohnern alles Licht bis auf eine Notbeleuchtung. Man zog sich diskret zurück. Dann umrundete er das Haus mehrere Male und sah am Ende immer auf die Uhr. Er dachte an den abweisenden Hof. An die kleinen, grauen Segelfedern. Der Brief in seiner Hand wollte sich nicht auflösen. Im Schlaf ballte er die Faust um das Papier.

Wieviel Zeit blieb noch, bis er, der sanfte Zerbrecher seiner unseligen Passionen, seine Netze wieder auslegen konnte?

Dann hatte er sich entschieden. Für eine maßgebliche Veränderung konnte jede rissige Oberfläche, ob materiell oder ideell, neu geprüft werden. Tief drinnen in ihm (und in so manchem auf die Schnelle hergerichteten Kellerlokal) Gelächter, das ihn ermunterte und erleichterte. Der kleine Hof war natürlich schon bereit. Die unwichtigsten Denkwürdigkeiten sind immer zuerst unter Dach & Fach, dachte er.

Er sprach in sein Innerstes hinein: Jetzt! Das Echo dieses abgegriffenen, notwendigen und zur Alltagssprache gehörigen Wortes grub sich in sein Erinnern wie in billigen Satelitenfilmen die knallroten Nägel einer Leidenschaftlichen in einen betagten Männerrücken. Jetzt! Er schrie selbst das z und das t in das, was er meinen abweisenden Kosmos nannte.

Er konnte diesen Ruf wirklich weder deuten noch einordnen. Er hielt den Brief in der linken Hand. Blieb er darin? Wie lange noch? Du weißt es, ich weiß es nicht.

 

 

 

Weiterführend →

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd