Einer Erinnerung an H.C. Artmann

 

Den Artmann braucht man nicht vorzustellen, dürfte das auch gar nicht müssen, jedes Schulkind müßte eigentlich ihn und seine Gedichte kennen, zumindest am Ende der Schulzeit; aber das ist bei unserem Bildungs- und Gesellschaftssystem und dessen Werten leider nicht der Fall. Ich traf nur ein paar Mal privat auf den Artmann. Das erste Mal bei einer Art Spontantheateraufführung in der Galerie Basilisk von Lingens und Kettner in der Schönlaterngasse in Wien. Worum es da genau ging, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls spielten „die alten Hasen“ – der Konrad Bayer, der Gerhard Rühm und der H.C. Artmann – auf einerprovisorischen Bühne vor ausgewähltem Publikum so etwas wie einen Sketch. Alle lachten, auch die Schauspieler-Dichter. Es war eine Hetz. Am meisten lachte der Doderer, der in der ersten Reihe saß und immer wieder begeistert klatschte. Das muß so um 1960 gewesen sein,als ich gerade nach Wien gekommen war. Das zweite Mal trafen wir bei einem Morgen-Kreis-Symposium in Ottenstein aufeinander. Ich fotografierte ihn, weil er ein so lustiges Kappel auf seinem Kopf hatte. Er war, glaub ich, nur auf einen ganz kurzen Besuch da, zumMittagessen, dann verschwand er wieder. Das dritte Mal traf ich auf ihn im Foyer des „Ronacher“, als sich die beiden Roth-Zwillingsschwestern um ihn drängelten und von mir mit dem Artmann fotografiert werden wollten. Ich glaube, der Artmann wußte gar nicht, wer die beiden Damen waren, aber die waren sehr attraktiv, und das gefiel ihm. Und so gestattete er mir, diese Szene zu fotografieren. Das war bei „Fest für H.C.Artmann“; wann genau weiß ich nicht mehr. Die vierte und letzte „Begegnung“ war bei seiner Verabschiedungsfeier in der Feuerbestattungshalle am Wiener Zentralfriedhof. Ich stand seitlich am Rand der Halle, hörte die Reden, dachte an das Artmann-Gedicht mit dem „Wiener Zentral“ und verabschiedete mich auch von diesem großen Dichter und Poeten und gebildeten Menschen H.C.Artmann, als der Sarg langsam durch eine Öffnung im Boden wie in ein Niemandsland hinab glitt und sich dann die beiden Türen wieder schlossen. Was übrig blieb, war eine Trauergemeinde, Familie, Freunde, Kollegen, von denen dann viele ins nahe Wirtshaus gingen; ganz im Sinne von H.C.Artmann; denn er hätte das in einem solchen Fall wahrscheinlich auch getan.

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

 

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.