Eine Erinnerung zum 10. Todestag von Hermann Schürrer

 

Der wildeste und verrückteste Dichter, den ich kennengelernt habe, damals im legendären „Café Sport“, im Anarchistencafé, wo alle waren, die im Hawelka Lokalverbot hatten, war der Hermann Schürrer, das Dichtergenie; leider früh verstorben. Der Alkohol hat ihn umgebracht, richtiger formuliert: Er hat sich mit dem Saufen zugrundegerichtet. Aber er war ein Genie! Nicht nur ein Außenseiter. Im Café Sport war er sowieso der Mittelpunkt, in jeder Hinsicht, er dominierte alles; wenn er – und eigentlich war dies sein Normalzustand – seinen Level an Trunkenheit erreicht hatte, also ziemlich besoffen war, dann schrie er herum, haute auf die Musikbox, daß es nur so krachte, schrie irgendwas in die Runde, verlangte von jedem, der irgendwie nach Geldhaben aussah, mit der größten Selbstverständlichkeit ein Bier, das er aus der Flasche in ein paar Zügen ausgetrunken hatte. Dann bestellte er das nächste, vielleicht das zehnte Bier. Die Frau Pauli sagte dann halb-streng, weil sie wußte, daß es sowieso nichts nützte und sie den Schürrer anscheinend irgendwie mochte: „Aus jetzt. Schluß jetzt, Schürrer, du bekommst kein Bier mehr, von mir jedenfalls nicht mehr!“ – bis sie ihm das nächste brachte. Die Frau Reichmann hinter ihrem Pult schaute streng und drohte mit der Polizei, die sie auch rief, wenn es gar nicht mehr anders ging. Die nahm dann den Schürrer mit auf die Straße, wo sie zu ihm sagte: „Verschwind! Und laß dich nicht mehr so schnell hier blicken!“ Man kannte ihn. Viele kannten ihn. Der Schürrer war – lokalmäßig jedenfalls – stadtbekannt. Überall hatte er Lokalverbot. Man konnte mit ihm sowieso nirgendwohin gehen. Nur im Café Sport saß er jeden Abend bis zur Sperrstunde zu Mitternacht, und darüber manchmal noch hinaus. Wo er dann hinging, hintaumelte, das wußte kaum einer; in irgendeinen Unterschlupf, einmal soll das über einige Zeit sogar ein Kohlenkeller gewesen sein. Der Schürrer hatte keinen festen Wohnsitz. Er hatte eine Schwester, die sich ständig um ihn sorgte. Der Schürrer hat einmal für ein paar Nächte bei mir übernachtet, das war gar nicht lustig, nein, ganz im Gegenteil. Mein mir lieber Plattenspieler und die Glastür waren dann kaputt, das Sofa war auch unbrauchbar. Den Plattenspieler hat er zertrümmert, weil er die Musik, die ich aufgelegt hatte, nicht mochte, vielleicht eben gerade in dem Augenblick nicht. Der Schürrer war unberechenbar, konnte auch zuschlagen, was er aber kaum und nicht gezielt tat. Das war halt einer seiner Wahnsinnsausbrüche, die man gewohnt war, wo man dann besser nicht in seiner Nähe war. Der Schürrer hat auch einen Prozeß gehabt. Der Kurier titelte „ Unterstandsloser Dichter!“ Oder so ähnlich. Der Schürrer ist aus einem Zug gesprungen, als er irgendwo abgeschoben werden sollte, so genau wußte das niemand. Jedenfalls hieß es: Der Schürrer ist tot. Er war aber nicht tot, sondern eine lebende Legende; jedenfalls in der damaligen Wiener Künstlerszene, die alles andere war als eine  Seitenblicke-Schicki-Micki-Gesellschaft. Da gab es keine Bussis, sondern höchstens Watschen, unflätige Worte sowieso; aber auch Liebes-Leidenschafts-Beziehungen und die daraus resultierenden Dramen. Also, nach dem Schürrer-Zugsprung suchte ich ihn und fand und besuchte ihn in Steinhof. Dort lag er mit verbundenem Schädel in einem Gitterbett. Meine damalige Freundin, eine mondäne aber ebenso verrückte hochstaplerische Modeschöpferin, hat der Schürrer sehr verehrt. Wenn ich mit ihr einen „Wickel“ hatte, wir uns also gestritten haben, dann hat mich der Schürrer angeschrieen: „Du blöder Arsch du, kannst gleich was erleben!“ Sie hat ihn, so habe ich nach unserer Trennung gehört, auch einmal im Gefangenenhaus in Wiener Neustadt besucht; hat überhaupt länger als ich dann noch Kontakt zu ihm gehabt. Das ständige Domizil nach der Schließung des Café Sport war dann das „Alt-Wien“, ein dunkles, verrauchtes, schmieriges „Kaffeehaus“, eigentlich eine Schenke, voll mit Undergroundpeople, mit Studenten, mit Scheinkünstlern und echten Künstlern, wie dem Maler Franz Ringel, den ich fast jedes Mal dort an der Theke traf, wenn ich ab und zu einmal auf ein Drüberstreuerachterl dort war. Dort hat man den Schürrer einmal wie leblos auf dem Klo gefunden. Wieder hieß es, der Schürrer sei gestorben, er war es dann doch nicht. Aber lange hat es nicht mehr gedauert, bis er dann wirklich gestorben ist. Man fand ihn leblos an seinem Schreibtisch in einer kleinen Gemeindewohnung. Bei seinem Begräbnis – selbstverständlich ohne jede Zeremonie, wie er das absolut sicher gewollt hat – standen wir um das offene Grab herum, niemand sagte irgendwas, der Sarg sank in die Grube, die Pompfüneberer gingen, erwarteten von diesem Haufen dubioser Gestalten sowieso kein Trinkgeld. Eine alte Frau stand in einem grünen abgetragenen Wintermantel am Grab und weinte. Es war seine Schwester oder vielleicht doch seine alte Mutter. Die Parte vom Schürrer habe ich bei der Sammlung von Parten meiner verstorbenen Freunde. Und dann habe ich noch ein Plakat, wo der Schürrer mit anderen Kollegen und Kolleginnen aus der Café-Sport-Literatur-Anarchistenszene auf einem kleinen Schiff, nämlich der Überfuhr, über den Donaukanal fährt. Auf dem Plakat steht der Satz: „Wo das Wort aufhört, beginnt die Gewalt!“ Ein Satz, der mich beeindruckt hat, vielleicht stammt er vom Schürrer, egal, jedenfalls ein Satz, den ich mir gemerkt habe, der zu einem Grundsatz von mir geworden ist.

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.

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