Hugo von Hofmannsthal, eine poetische Reflexion

Die Erscheinung des jungen Hofmannsthal ist und bleibt denkwürdig als eines der großen Wunder früher Vollendung; in der Weltliteratur kenne ich bei solcher Jugend außer bei Keats und Rimbaud kein Beispiel ähnlicher Unfehlbarkeit in der Bemeisterung der Sprache, keine solche Weite der ideellen Beschwingtheit, kein solches Durchdrungensein mit poetischer Substanz bis in die zufälligste Zeile, wie in diesem großartigen Genius, der schon in seinem sechzehnten und siebzehnten Jahr sich mit unverlöschbaren Versen und einer noch heute nicht überbotenen Prosa in die ewigen Annalen der deutschen Sprache eingeschrieben hat. Sein persönliches Beginnen und zugleich schon Vollendetsein war ein Phänomen, wie es sich innerhalb einer Generation kaum ein zweites Mal ereignet.“

Stefan Zweig

Hugo von Hofmannsthals literaturgeschichtliche Relevanz ist auch darin begründet, dass er von früh an in poetologischen Reflexionen zu seiner Dichtung Stellung nahm. Es gibt bei ihm – wie generell während der Jahrhundertwende – allerdings keine systematisch ausgearbeitete Literaturtheorie, sondern verstreute Essays und literaturtheoretische Reflexionen in literarischer Form. Seine frühen Auffassungen unterscheiden sich dabei stark von seiner späten Sprachskepsis, so wie auch seine Dichtung selbst einen tiefen Wandel durchläuft.

Der junge Hofmannsthal ging ganz mit Stefan Georges Ästhetizismus konform: Poetische Sprache soll von der Alltagssprache unterschieden sein; sie soll ein abgeschlossenes „Ganzes“ bilden, eine in sich geschlossene Kunst-Welt mit eigenen Gesetzen. Die Kunst dürfe keinen äußeren Zwecken – etwa der Unterhaltung – dienen (in den Worten Théophile Gautiers: „l’art pour l’art“).

„(E)s führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie. Das Wort als Träger eines Lebensinhaltes und das traumhafte Bruderwort, welches in einem Gedicht stehen kann, streben auseinander und schweben fremd aneinander vorüber, wie die beiden Eimer eines Brunnens.“

Poesie und Leben, 1896

Er spielt dabei auf einen Aufsatz von Stefan George an, in dem dieser schreibt:

„Den wert der dichtung entscheidet nicht der sinn (…) sondern die form d. h. durchaus nichts äusserliches sondern jenes tief erregende in maass und klang wodurch zu allen zeiten die Ursprünglichen die Meister sich von den nachfahren den künstlern zweiter ordnung unterschieden haben. (…) Strengstes maass ist zugleich höchste freiheit.“

Uber Dichtung, 1894

Das „Maß“, der Rhythmus, der Klang, der „eigene Ton“ unterscheiden das Kunstwerk von der Nichtkunst, nicht ihr Inhalt oder die dahinter stehende Absicht.

Anders als George betont Hofmannsthal, dass das Gedicht auf Stimmungen, Phantasien und Erfahrungen bezogen ist; es negiert das „Leben“ nicht vollkommen, sondern führt indirekt wieder zu ihm hin. Poesie und Leben sind paradigmatisch verknüpft in der Metapher und im Symbol (zwei Konzepte, die durchaus ineinander übergehen können). In der Metapher können „ganze Weltzusammenhänge sichtbar werden“, so wie „das Symbol mit Leben und mit dem Erleben dieses Lebens geradezu identisch ist“ (Koopmann 1997; S. 47). Hofmannsthal selbst spricht von dem „seltsam vibrierenden Zustand […], in welchem die Metapher zu uns kommt in Schauer, Blitz und Sturm; dieser plötzlichen blitzartigen Erleuchtung, in der wir einen Augenblick lang den großen Weltzusammenhang ahnen, schauernd die Gegenwart der Idee spüren“ (Philosophie des Metaphorischen, 1894).

Ein kurzes Gedicht mit dem Titel Dichtkunst (1898) erfasst das Problem des Dichtens so:

Fürchterlich ist diese Kunst! Ich spinn aus dem Leib mir den Faden,
Und dieser Faden zugleich ist auch mein Weg durch die Luft.

Der Dichter ist eine Art Seiltänzer; doch das Seil – eigentlich nur ein dünner Faden – holt er aus sich selbst. Er spinnt ihn nicht aus dem Geiste, sondern aus dem Leib – dort, wo das „Leben“ sitzt und die Räusche der Empfindung sich abspielen. Festgefügte, zum Teil exotische Reimschemata wie die Terzine, das Ghasel, die Stanze sollen dafür sorgen, dass der Balanceakt gelingt.

Die Aufgabe der Dichtung ist weder die objektivierende Weltbeschreibung von der sicheren Basis des Betrachters, wie im Bürgerlichen Realismus, noch das Sammeln subjektiver Eindrücke, das der literarische Impressionismus betreibt. Vielmehr ist „die Sprache selbst“ der Faden, auf den der Dichter tritt.

Wenige Zeit später reißt dieser aufs äußerste gespannte Faden, den der Dichter aus sich selbst spann. Am 18. Oktober 1902 erscheint Ein Brief („Chandos-Brief“) in der Berliner Literaturzeitschrift Der Tag. Der Text zeigt, aus welchen Zweifeln heraus Hofmannsthal die Poetologie seiner Jugend ablegt; eingekleidet in einen fiktiven Brief (vom 22. August 1603 von Philipp Lord Chandos an den Philosophen Francis Bacon) und somit an einen Adressaten, der nie antworten wird, spricht er sehr eloquent von der Unmöglichkeit des Sprechens:

„Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. (…) Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte ‚Geist‘, ‚Seele‘ oder ‚Körper‘ nur auszusprechen (…) die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.“

Ein Brief, 1902

Der Chandos-Brief markiert einen Bruch in Hofmannsthals Kunstkonzept. Im Rückblick erscheint das bisherige Leben als bruchlose Einheit von Sprache, „Leben“ und Ich. Nun aber kann das Leben nicht mehr durch Worte repräsentiert werden; es ist vielmehr direkt in den Dingen präsent:

„nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische noch die englische, noch die italienische oder spanische ist, sondern eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zuweilen zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.“

Die „neue Sprache“ müsste unmittelbar sein, nicht vermittelt durch die Zeichen. Sie ist „Offenbarung“, nicht Rhetorik. Wie diese Forderung konkret erfüllt werden kann, sagt der Brief nicht; er endet mit dem Verstummen des Erzählers. Dennoch emanzipiert sich Hofmannsthal damit endgültig von Stefan George und vom Ästhetizismus. Seine Bildmächtigkeit, die Evokationskraft seiner Sprache ist lebendig geblieben. Kaum jemand um 1900, ringt so genau um eine Sprache der Selbstbeobachtung. Das ist die phänomenologische Ebene seiner Texte. „Wie bewegen wir uns fühlend und sprechend in der Welt?“

Später findet Hofmannsthal zu einer Position, in der er sich mit der Sprache versöhnt; diese Auffassung ist aber speziell auf das Theater bezogen, zu dem er sich mehr und mehr hinwendet. Im Ungeschriebenen Nachwort zum „Rosenkavalier“ (1911) begreift er die Sprache (und zugleich die Musik) als „Fluidum“, „von dem alles Leben in die Gestalten überströmt“. Die Sprache, schreibt er in einem späteren Geleitwort zum Rosenkavalier, sei „wie alles in dem Stück – zugleich echt und erfunden (…), voll Anspielung, voll doppelter Bedeutung“ – eine „imaginäre“ Sprache, die zugleich den sozialen Stand und die Zeit charakterisiert.

„Dramatische Gebilde dieser großen simplen Art sind wahrhaftig aus dem Volk hervorgestiegen. Vor wen sollten sie als wiederum vor das Volk? (…) Wie aber, daß wir das Abgestorbene, das Unzeitgemäße vor sie gebracht hätten! Es wird in unserer Zeit gar zu viel Wesens gemacht von unserer Zeit. (…) Das Wohltuende für den Dichter liegt darin, unsäglich gebrochenen Zuständen ein ungebrochenes Weltverhältnis gegenüberzustellen, das doch in der innersten Wesenheit mit jenem identisch ist.“

Das Spiel vor der Menge, 1911

Dichtung sollte nun zu einer neuen Aufgabe kommen: der „schöpferischen Restauration“ einer halb fiktiven aristokratischen Gesellschaft.

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal 1910 auf einer Fotografie von Nicola Perscheid

Weiterführend →

Im Alter von achtundzwanzig Jahren verschafft sich Hofmannsthal mit dem Brief des Lord Chandos ein Ventil, seinem Zweifel an der Sprache Raum zu verschaffen. Der Sprache traut er jedenfalls nicht länger zu, den Zusammenhang von Ich und Welt herstellen zu können.

 Hugo von Hofmannsthal über Gedichte.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung