ECHOLOT

 

Echolot heißt der prägnante Titel eines 1982 vom Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich als Folge 2 der „Schriften zur oberösterreichischen Literatur“ herausgegebenen Essaybandes, der eine in verschiedene Kapitel gegliederte Reihe von Essays, Vorträgen und Notizen der österreichischen Dichterin Gertrud Fussenegger vereinigt. Es sind Texte aus den letzten zwanzig Jahren, die zum siebzigsten Geburtstag der Dichterin in diesem Sammelband erschienen sind. Eine Bilanz der geistigen Auseinandersetzung mit den oft brennenden Fragen dieser Zeit. Eine ,,geistige Biographie“ der Dichterin.

Schon der Titel deutet an, worum es geht: ,,Was nottut“, sind ,,Raumsonden und Tiefbohrungen“. Diese Aussage der Dichterin markiert ihren Standpunkt in der Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit. Was angestrebt und erreicht wird, ist die Auslotung der Hohlräume der menschlichen Existenz und der Menschheitsgeschichte und ihre zeitbedingte geistes- und kulturgeschichtliche Äußerung bis zu jenem Punkt hin, wo das Geheimnis beginnt, das sich unserer Erkenntnis entzieht, das sich nur dem gläubigen Begreifen und der Einsicht eröffnet und entbirgt. Immer steht die Frage, ja die Suche nach dem Menschen, nach dem Humanem, und seinem Eingebettetsein in eine kosmische, ja göttliche Ordnung, in etwas, das sich letztlich seiner Verfügbarkeit entzieht, im Mittelpunkt. Das Sein des Menschen besteht für Gertrud Fussenegger nicht in seiner Seinsweise, sondern in seinem letzten Begründetsein in dieser Ordnung. Das wahre Bild des Menschen ist nicht sein Erscheinungsbild. Der Mensch ist kein Reduktionspartikel einer jeweiligen kultur- und geistesgeschichtlichen Epoche und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ihrer oft nur sehr oberflächlichen Terminologie, die vom Geschwätz bis hin zur Selbstbelügung reicht, sondern das wahre Sein des Menschen liegt in seiner Transzendenz. Der Mensch ohne metaphysische Bedeutung ist nicht denkbar, er wäre nur ein Bestandteil einer Fall- und Erscheinungswelt, ein Teil einer sich wandelnden Systematik, ihr ausgeliefert, von ihr bestimmt. Der Mensch aber ist, von Gott geschaffen nach seinem Ebenbild, frei und damit auch verantwortlich. Er kann Ordnungen begründen – und je nach seinem Selbst- und Geschichtsverständnis – aber auch das Chaos, die Zerstörung herbeiführen. Er kann gegen sich selber handeln, er kann seine Menschenwürde, seinen Wert zerstören, auch für immer. Was diese Texte von Gertrud Fussenegger in ihrer Besonderheit auszeichnet und ausmacht, das ist der Aufruf und die Stimme ihres Gewissens. Das tut not in dieser Zeit. Das tut besonders not in Zeiten von unglaublicher und unverantwortlicher Werte-Nivellierung, wo der Mensch, oder sagen wir es gleich richtiger: die Gesellschaft, mit ihren Ideologien, den damit verbundenen Werte-Umschichtungen, Werte-Nivellierungen und Werte-Zerstörungen, aus denen eine ungeheure Angst und Hilflosigkeit, ein Sich-ausgesetzt-Fühlen des einzelnen Menschen in ein Niemandsland: in seine unbeantwortete Existenz, resultiert, alles daran setzt, sich selbst zu amputieren, krüppelhaft zu werden. Was uns in einer solchen Krise not tut, ist, nach Fussenegger, aufzubrechen, um ,,nach neuen Gründen, nach neuen Perspektiven zu suchen, um das Hergebrachte, Unverzichtbare, das Fundamentale neu zu entdecken, neu auszuleuchten.“ Und die Dichterin und Denkerin Fussenegger leistet dazu mit ihren Überlegungen und tiefgründigen Reflexionen in diesem Buch einen bedeutenden Beitrag.

Es steht mir nicht zu, dieses Buch in seiner denkerischen Substanz und Konsequenz und in seiner literarischen Qualität zu beurteilen. Das erscheint mir auch nicht so wichtig. Viel wichtiger erscheint mir die Botschaft, die aus diesem Buch spricht; und die hat mich tief ergriffen. Was an klarer Wahrheit und an tiefen Einsichten z.B. in den für mich besten Essays – wie ,,Über die Menschenwürde“ sowie ,,Über das Sinnbildliche im Werk Leon Blois“ oder in den ,,Tagebuch-Notizen“ aus den Jahren 1943 bis 1978 oder in ihrer ,,Dankesrede“ aus Anlaß der Überreichung des ,Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst‘ am 11 -Juni 1981 – ausgesprochen wird, das formt sich für mich zu einer Botschaft, für die ich der Dichterin danke. Es ist eine Botschaft, die mir auch Orientierung bietet. Sie ist auch Zeichen und Ausdruck eines tiefen, religiösen Glaubens und des personalen Verwurzeltseins in ihm. Sie ist auch Zeichen und Ausdruck einer Hoffnung, die wir alle so dringend brauchen, um die wir auch wieder ringen müssen: die Hoffnung, daß der Mensch nicht verlorengeht. Und dies mit dem Wissen und mit der Gewißheit, die letztlich nur dem Glauben entspringen können: daß die Begründung des Menschen und seine Bestimmung nicht in ihm selbst und allein liegen und sich nicht in ihm selbst und allein erfüllen; daß er letztlich seinen Schutz findet, daß er aufgehoben ist in einer alles umfassenden Liebe des Göttlichen.

 

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Echolot, Essays, Vorträge, Notizen. Schriften zur oberösterreichischen Literatur Folge 2, OLV-Buchverlag, Linz, 1982

Weiterführend → Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Was den Rezensionsessays von Holger Benkel die Überzeugungskraft verleiht, ist die philosophische Anstrengung, denen er sein Material unterwirft, seine Texte zeigen, was der Fokus auf eine Fragestellung sichtbar machen kann, wie diese Konzentration aufdeckt, was dem Schreibenden selbst verborgen blieb, wohl wissend, daß die Fülle der Literatur, der Kunst und des Lebens eben darin liegen, nie alles wissen zu können.