Kriegsgefangene

 

Ein verschwommenes Erinnerungsbild: Wir gehen hinaus zum Turnsaal, der am Rande des Ortes steht. Dort sollen russische Kriegsgefangene sein; ob für länger oder nur kurz als in einem Übergangsquartier untergebracht, wissen wir nicht. Tatsächlich sind viele Männer, sehr schlecht gekleidet und unterernährt in der Turnhalle; viel zu viele für den nicht allzu großen Raum. Sie liegen alle auf dem Boden, fast einer auf dem anderen, weil so wenig Platz ist. Einige gehen auch herum. Wir haben etwas Brot mitgenommen und werfen es durch ein halb geöffnetes Fenster, durch das wir in den Saal hineinschauen können, den Männern, die mit erhobenen Armen dastehen, zu. Als ein deutscher Wachsoldat das bemerkt, schreit er uns sehr grob an; er schreit, daß das verboten ist, den Gefangenen irgend etwas zu geben, auch kein Brot. „Die sollen hungern, meinetwegen auch verhungern“ – schreit er. So ähnlich habe ich diese Szene in Erinnerung. Ob es eine Wirklichkeit zu diesem Bild in mir gibt, kann ich nicht sagen; vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Sich ein Bild einbilden – welch ein Gedanke! Aber irgendwie muß ich so etwas mit Kriegsgefangenen schon erlebt haben. Denn ich hatte ab einem bestimmten Tag dann lange Zeit ein Spielzeug. Das war eine gelb-schwarz angemalte Ente aus Blech. Unterhalb ihres Schwanzes war ein Stecken angebracht, mit dem man die Ente auf zwei Rädern schieben konnte. Wenn man sie vor sich herschob, dann bewegte sie ihre beiden Flügel auf und ab. Von der Unterseite der beiden Flügel führte ein dicker Draht zu den Rädern; dort war diese Drahtstange am Rande des Rades befestigt. Und wenn das Drahtstangerl oben war, wie bei einer Uhr um zwölf Uhr die Zeiger nach oben zeigen, dann waren auch die beiden Entenflügel in der Höhe. Schob man die Ente weiter, so bewegte sich das Rad nach vor im Uhrzeigersinn, und das Drahtstangerl stand bald unten , so wie die Zeiger der Uhr, wenn sie auf sechs Uhr steht. Dann senkten sich gleichzeitig die beiden Entenflügerl zum Boden nieder. Dieses Spielzeug funktionierte sehr gut. Angeblich soll es irgendein geschickter Gefangener aus Blech gemacht haben; so wie anderes Spielzeug auch. Und wir haben es für ganz wenig Geld gekauft oder gegen Brot getauscht. Mein Bruder Klaus hatte auch ein solches von Kriegsgefangenen gemachtes Spielzeug,. Das war ein kleines viereckiges Brett, auf dem an jeder der vier Ecken ein kleines buntfarbenes Pipihenderl stand. Vom Kopf eines jeden Henderls führte eine dünne Schnur, ein Spagat, durch ein kleines Loch im Brett vor den Füßen des Henderls eine Schnur zu einem Würfel, der am Ende der vier zusammengeführten Schnüre hing. Das Brett hatte einen Griff für die Hand. Vor den Henderln waren im Kreis eine Menge Punkte auf das Brett gemalt; das waren die Futterkörner. Nahm man dieses Brett beim Griff in die Hand und schwenkte es geschickt hin und her, dann bewegte sich der Würfel unter dem Brett dahin und dorthin, und das hatte zur Folge, daß sich nacheinander die Köpfe der kleinen Henderlfiguren senkten und auf das Brett klopften und es aussah, als ob sie das vor ihnen liegende Futter aufpickten. Wir hatten diese beiden Spielzeuge sehr lange und wir hatten viel Freude damit. Sie waren ja etwas ganz Besonderes für uns. Spielzeug gab es ja kaum welches zu kaufen. Und diese beiden Spielzeuge waren etwas Außergewöhnliches; denn sie waren handgemachte Eintelstücke; und noch dazu von einem Kriegsgefangenen angefertigt. Diese Spielzeuge waren für uns mit dem Mann, der sie gemacht hatte, verbunden; und wir dadurch auch irgendwie mit ihm.

 

 

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Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.