Chronica

 

Mutter und Vater sind im Himmel –
Amen.

Drei Seelen breiten

Aus stillem Morgenträumen

Zum Gottland ihre Wehmut aus; –

Denn drei sind wir Schwestern,

Die vor mir träumten schon in Sphinxgestalten

Zu Pharaozeiten; –

Mich formte noch im tiefsten Weltenschoß

Die schwerste Künstlerhand.

Und wisset wer meine Brüder sind?

Sie waren die drei Könige, die gen Osten zogen

Dem weißen Sterne nach zum Gotteskind.

Aber acht Schicksale wucherten aus unserem Blut.

Vier plagen uns im Abendrot,

Vier verdunkeln uns die Morgenglut,

Sie brachten über uns Hungersnot

Und Herzensnot und Tod.

Und es steht:

Über unserem letzten Grab ihr Fortleben noch,

Den Fluch über alle Welten zu weben,

Sich ihres Bösen zu freuen.

Aber die Winde werden einst ihren Staub scheuen.

Satan, erbarme dich ihrer.

 

 

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Else Lasker-Schüler aka Prinz Yussuf (1912)

„Die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“, sagte Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler. Sie bewegte sich wie eine Märchenfigur durch Berlin und fiel mit ihrer exzentrischen Erscheinung auf.
Else Lasker-Schüler wurde geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld. Sie starb am 22.1.1945 in Jerusalem.

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KUNO würdigte die Poetin mit einem Rezensionsessay. Poesie zählt für die Kulturnotizen weiterhin zu den wichtigsten identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.