Verliert Walter Benjamin seine Aura?

Eva Weissweiler ist Verfasserin von Biografien, Romanen, Kurzgeschichten, Hörfunkfeatures und Dokumentarfilmen. KUNO schätzt sie wegen ihrer großartigen Musikerbiographien, wie etwa Clara Schumann, Eine Biographie. Nun hat sie mit „Echo deiner Frage“ die vorgebliche „Biographie einer Beziehung“ geschrieben, einer Frau, die – auch wenn es stark nach Intentionskitsch müffelt – „Walter Benjamins Seele berührte“.

Die Autorin hat für ihr Buch u.a. in Jerusalem, New York, London und Berlin recherchiert und mit den Enkelinnen und Urenkeln des Paares gesprochen. Als „Ehrgeizige Gans“ bezeichneten Zeitzeugen Dora Kellner, die spätere Frau Walter Benjamins. Und auch die bisherige Forschung lies an ihr nichts Gutes:

„Dora sei für Walter Benjamin nicht bedeutsam gewesen“.

Doch wird das der Frau, die dreizehn Jahre mit dem Philosophen verheiratet war, gerecht? – Keinesfalls, meint Eva Weissweiler. Die journalistisch sorgfältig arbeitende Autorin läuft dann zu großer Form auf, wenn sie den Alltag im 19. Jahrhundert schildert, in dem die junge Frau aufwächst. Sie lotet die Enge des traditionellen Judentums aus, zeichnet die intellektuellen Debatten in den zionistischen Kreisen, denen Doras Vater angehört, aber auch der Judenhass nach, der forciert bewußt gemacht wird ist. Dank der großen Detailkenntnis, die Weissweiler gekonnt mit Zitaten aus Briefen, Biographien und Zeitungsartikeln collagiert, wird man unmittelbar hineingezogen in die Welt dieser Familie.

Wie es sich für eine HeldInnen*reise gehört, entkommt Dora Keller dieser Enge, sie verdankt ihre Befreiung, so Weissweilers Interpretation, selbstverständlich der aufkommenden Frauenbewegung (in der die Autorin ein Spiegelbild des 1970er Jahre Feminismus der BRD sieht). Über Jahrzehnte wird sie sich mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau beschäftigen – nicht nur analytisch, in journalistischen und literarischen Texten, aus denen Weissweiler immer wieder ausführlich zitiert. Auch Doras Ehe mit Walter Benjamin, den sie 1917 heiratet, ist geprägt von der permanenten Zerreißprobe zwischen Zuwendung und dem Wunsch nach Selbstbestimmung. Hier kommt Weissweilers schreiberisches Können wie einst bei Clara Schumann, Eine Biographie, voll zur Geltung: Man fühlt und leidet mit im Auf und Ab dieser Beziehung, die alles andere als normal ist und durch Krieg, Antisemitismus und ständige Geldsorgen noch zusätzlich belastet wird – obwohl beide eigentlich aus vermögenden Elternhäusern stammen.

Ähnlich wie bei Clara Wiek ist es faszinierend, wie vielschichtig Dora Keller von der Biographin gezeichnet wird. Als eine Frau, die einerseits den lebensuntüchtig wirkenden Walter unterstützt und die gleichzeitig ihre eigene berufliche Entwicklung weiter verfolgt, quasi der Liebespakt: Simone de Beauvoir und Sartre als Prequel im Weimarer Zeitalter. Ob Dora Keller ihren Ehemann Walter Benjamin auch intellektuell inspiriert hat, oder gar Anteil an seinem geistigen Schaffen hat, kann Weissweiler nur mutmaßen, seltsam schütter wirken hier die ansonsten fleißig beigebrachten Zitate. Von der Biographin wird Walter Benjamin als gefühlskalter Eigenbrötler, und wie seinerzeit Robert Schumann, sehr eindimensional abgehandelt. Die Autorin geht davon aus, daß es an dem Wert von Walter Benjamins Werkes überhaupt keinen Zweifel gibt, und diese will sie auch nicht äußern, an seinen menschlichen Verhaltensweisen allerdings. Sie findet nicht, daß es „in Ordnung war“, wie er sich seinem Sohn Stefan gegenüber verhalten hat und wie er auch zum Schluß versucht hat, seine Frau „regelrecht auszubeuten“, indem er ihr alles abnehmen wollte, alles Geld, das Sorgerecht für ihren Sohn. Rosenkrieg in Weimar.

Wie bereits bei Clara Schumann, Eine Biographie hat Weissweiler die Biographie zweier Menschen geschrieben, die sich geliebt und wieder getrennt haben, die ohne einander nicht leben und doch nicht beieinander bleiben konnten. Schuman flüchtete bei Endenich in den Wahnsinn, Benjamin bei Portbou in den Tod.

Eva Weissweiler jongliert virtuos mit Zitaten, sie ergreift dabei sehr häufig und meist einseitig Partei für Dora Benjamin und schildert ihren Ehemann, die Ikone der Deutschen Linken, als egomanisch und kalt. Sie ähnelt in ihrer Montagetechnik dem Dokumentarfilmer Michael Moore. In ihrer neuen Dokufiction arbeitet sie – hier eine weitere Parallele zu dem Schumannbuch – auch mit Spekulationen, sehr freien Deutungen und teilweise auch mit Unterstellungen.

Ähnlich, wie sie die Heiligenlegende des Traumpaars der Deutschen Romantik, Clara und Robert, dekonstruierte, nimmt sie auch Dora und Walter auseinander. Es ist jedoch kein Beitrag zu #MeeToo, eher die nachgereichte Dokumentation eines altbacken wirkenden 1970-er Jahre Feminismus, der freudo-marxistisch ein Weltbild zur rekonstruieren versucht, ein Gegenbild zu einer digitalisierten Welt, die kein Echo auf Rufe im hallfreien Raum mehr benötigt. Beim Lesen dieser „Biographie einer Beziehung“ fällt auf, was heute fehlt. Vor allem der kluge und belesene Blick auf das, was eigentlich da ist.

 

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Das Echo deiner Frage. Dora und Walter Benjamin. Biographie einer Beziehung, von Eva Weissweiler. Hoffmann und Campe, Hamburg 2020

Weiterführend

Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Eva Weissweiler finden Sie hier. – Einen Essay zur Reihe Kollegengespräche finden Sie hier. – Einen Rückblick zum 50. Jahrestag des (VS), der gewerkschaftlichen Interessenvertretung der Schriftsteller in Deutschland (früher IG Druck und Papier) findet sich hier.