Florentiner

 

Egal an welcher Stelle der Innenstadt, Altstadt, überall atmet man Geschichte, glaubt der geneigte Tourist. Sich dem Strom der Anderen überlassen. Man muss lernen, im Trubel eine gelassene Ruhe zu entwickeln, für sich zu entdecken, ohne sie gesucht zu haben. Nahe der Ponte Vecchio hatte Herr Nipp sich schließlich am Steingeländer entlang des Arno, des trüben Gewässers niedergelassen, hatte die rhythmisch vorbei ziehenden Leute beobachtet, in ihre Gesichter geschaut. Hatte die typischen verklärten Blicke gefunden. Von Menschen, die sich ihren Träumen nahe fühlten. Als wären die Menschen in einer Zeitblase gefangen, hätten sich in eine Ära außerhalb des Gangs der Dinge begeben. Umgeben von Geschichte und dem Wissen, dass die Gegenwart von den hier gedachten und gemachten Veränderungen immer noch beeinflusst war, vielleicht unmöglich zu denken war. Verschiedenste Sprachen drangen dabei an sein Ohr. Die gleichlangen Silben japanischer Reisegruppen, das befremdliche Stakkato der Südkoreaner. Das breite, immer wie gewalzt wirkende Amerikanisch und sogar verschrobenes Sächsisch. Italienisch dagegen hauptsächlich in den Geschäften und Museen. Man muss kein Englisch können, wenn man sich mit Händen und Füßen verständigen kann. Herr Nipp hatte als Kind einmal einen Freund in Italien während des Urlaubs gehabt, hatte drei Wochen lang mit ihm die schönsten Ferien eines Kindes vielleicht verbracht. Abenteuer erlebt, Dinge angestellt und viel gelacht. Der kleine schwarzhaarige Junge war ein Italiener gewesen. Erst Jahre später hatte Herr Nipp von seinen Eltern erfahren, dass dieses Kind nicht ein Wort Deutsch habe sprechen können. Sie hatten sich verständigt – ohne Worte – hatten ihre eigene wortlose Sprache gehabt und alles verstanden. Sie hatten die Worte nicht nötig gehabt, sich auf ihre Mimik und Gestik verlassen. Die Stadt ist ein Touristenfresser. Die jüngeren Städter knattern auf Vespas und kleinen Motorrädern die Straßen entlang. Wenige Autos haben die Durchfahrt gefunden, vielleicht fehlt ihnen auch einfach eine Erlaubnis.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

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