OSTERSPAZIERGANG

 

Heider weg

häuser stehn jetzt dort

wo früher wiesen waren

wir gingen oft vom weg

in schaumkrautweißrosa haaren

 

Friedhof

eine flasche wein

geleert in der grabplattenplicht

durch marmor sehn

die schmerzensmütter nicht

 

Wald I

unsere keime sprossen

an hexensteinerner brust

von der silbernen schlange

haben wir gewußt

 

Schuppen am gut

im sommer glänzt rötlich

das rostje* gerät

der boden kaut langsam

was in ihn gesät

 

Eichenweg

am grashang trieben wir’s

mußten uns zauhen*

bei frisch getretenen

rinderklauen

 

Alte mühle

wie die kleine vom Fronrath

der bach hat unterrockränder

ins mahlwerk stiegen wir

am jelängerjeliebergeländer

 

Wald II

als der see noch war

schlich ich übers eis

mädchen drehten sich drauf

ich feilschte mit schilf

um den preis

 

 

Hang

im sommer haben wir drüben

maschinen die hitze gelindert

im winter sind wir zusammen

die teufelsbahn runtergeschlindert

 

Garten

wo die schruräpfel* fielen

wachsen vaters fichten

amseln halten sitzung

im hahnenfußgelb

um ihren streit zu schlichten

 

 

 

 

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Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2018

HEL ist bekannt geworden als Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. Diese Gedichte legen eine Stimmung frei, die zwischen Melancholie und Unbeschwertheit, Wehmut und Klarheit wechselt.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

 

 

Anmerkungen:

rostje = „angemaulartete rostige“

zauhen = „auch zauen – zuen – hinmachen, eilen“

schruräpfel = „falläpfel, blötschäppel, ausschuß“