IN DER ALTEN MÜHLE

versuch einer vermittlung

die mittagssonne gleißte auf den gärten

da kam er, rahn, es war ein julitag.

er war mal einer ihrer weggefährten;

kaum noch erkannt, so trat er unters dach.

 

er kam und hatte vieles das er fragte,

er sagte: nehmt es leicht, ich bleib nicht lang.

und keiner war von ihnen der ihm sagte

daß in den fragen eine bitte klang.

 

die alte mühle, die wir uns zum leben

bereitet haben, sieh, ist unser ort,

der garten, unser stiller bach, die reben.

er fragte nur: was ist’s das ihr verlort?

 

wir sind zufrieden, nichts ist das uns fehlte,

wir leben von was unsre hände tun.

Gott selber sagte: hier baut eure zelte!

er fragte: ist’s euch nicht zu früh zu ruhn?

 

als sie mit ihm dann über alles sprachen,

sich fragten: was ist unser sinn und ziel?

da kam aus ihm manch mal ein kleines lachen:

sie wissen und sie reden noch so viel!

 

und er berührte boden, holz und mauern

und manch mal stand er sinnend auf dem weg:

ja, freunde, sagte er, jetzt seid ihr bauern,

doch fragte er sich: hat’s für mich den zweck?

 

wir leben, sagten sie, in eignen kreisen,

wir haben die gesellschaft abgelegt.

sie ist uns nicht mehr wert als drauf zu scheißen!

ob die gesellschaft, frägt er, das bewegt?

 

meint ihr denn echt was ihr hier tut sei wichtig?

was ihr voraus habt andren, ihr verwehrt’s,

was ihr erreicht habt macht ihr undurchsichtig,

und kämen sie es fordern, ihr verlört’s.

 

wir wollen uns befreien von den zwängen,

die die gesellschaft unserm leben setzt.

er fragte: wollt ihr nicht noch mehr verdrängen?

und habt ihr nicht die zwänge unterschätzt?

 

er fragte viel, und noch blieb ungeklärtes,

doch siegte er in ihrem fragespiel.

was euch verändert, denkt er, ihr verkehrt es,

ihr wißt’s nicht, und ihr redet noch so viel!

 

er ging sehr spät, der tag war längst zu ende.

sie meinten: bleib doch noch bei uns die nacht!

und ob er seinen weg im dunkel fände?

da hat er noch mal, bitterer, gelacht.

 

er war gekommen, hatte viel zu sagen,

nur dies nicht: nehmt mich auf in euern kreis!

und sie vergaßen ihn danach zu fragen;

ob er was sie an ihm versäumten weiß?

 

 

***

 

Rohlieder I – X von HEL

HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

 

Anmerkung:

erschien im FENSTER