Am Beispiel von Ferdinand Hardekopf

Splendeurs et miséres des courtisans

Aus der steilen, transparenten Nudel –

Quillt ein Quantum Quitten-Quark empor,

Ballt sich, physisch, zum gewürzten Strudel,

Kreist: ein Duftballon aus einem Rohr.

Wann (und wo?) war Schweben delikater?

In der Spannung wird man blass, wie Chrom,

Lehr- und Schüler folgen dem Theater,

Doch der Stern genießt sich autonom.

Hohe Hirnkraft wallt zu diesem Gase,

Da bestülpt der sachliche Adept

Das Gestirn mit einem Stengelglase,

Darin dottrig etwas Ei verebbt.

 

Wer sich für „so etwas“ wie die zweite Strophe dieses Gedichts nicht begeistern kann -, wird sich für anderes begeistern.

Ferdinand Hardekopf wurde 1876 in Varel/Oldenburg geboren, er starb 1954 in Zürich. Im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts lebte er in Berlin, verdiente seinen Unterhalt als Reichstagsstenograph und schrieb Theaterkritiken, Essays und Gedichte. Eine starke Affinität hatte er zum Kabarett (was man auch in vielen seiner Texte spürt). Literaturgeschichtlich gehört er zum Expressionismus.

Umso überraschender ist es – aber nur auf den ersten Blick -, dass er in „Menschheitsdämmerung“, Kurt Pinthus’ 1919 erschienener berühmter Anthologie expressionistischer Lyrik nicht vertreten ist. Er wolle, schreibt Pinthus im Vorwort, „die charakteristische Dichtung jener Jugend vorstellen, die recht eigentlich als die junge Generation des letzten Jahrzehnts zu gelten hat, weil sie am schmerzlichsten an dieser Zeit litt, am wildesten klagte und mit leidenschaftlicher Inbrunst nach dem edleren, menschlicheren Menschen schrie“. Nein, zu dieser Jugend gehörte Hardekopf nicht, Pathos war nicht seine Sache, er war der Ironiker par excellence.

Ironie – im Sinne von Friedrich Schlegel – schafft künstlerische Distanz zum eigenen Werk (Karl Heinz Bohrer), gleichzeitig ist sie höchst subjektiv. Durch die Distanz zum Werk wird der Dichter zum Ingenieur, das Gedicht „entsteht“ nicht, es wird „gemacht“ (Benn). Die erklärte Subjektivität gestattet dem Spieltrieb, der uneingeschränkten Phantasie, der rücksichtslos eigenen Sicht auf die Welt mitzuarbeiten am Gedicht. All das findet man, spürt man, in Hardekopfs Kurtisanengedicht.

Dass er ein ausgefuchster Handwerker ist, zeigt Hardekopf nicht zuletzt an seinen Reimen, Stab- und Endreimen. Wann vor und nach ihm konnte einer reimen wie er! Rühmkorf vielleicht. In einem anderen Gedicht von Hardekopf, „Spleen“, findet man: „Die Kammer dehnte sich verbrecherhell/Der Mond ein Dotterball, schien kriminell“ oder: „Ein Schneiderkleid umpresste mit Radau/Die Dame Angst: die Gift- und Gnadenfrau.“ Vor gewagten Konstruktionen scheut er sich nicht, zum Beispiel: „Lehr- und Schüler“. Was den „Sinn“, die „Aussage“ der einzelnen Verse des Kurtisanengedichts angeht: Man kann suchen und finden; verzichtet man darauf, bleibt immer noch: Atmosphäre und Reine Musik. Oder anders: „Wann (und wo?) war Schweben delikater?“

Vielleicht spürt man im Kurtisanengedicht die Nüchternheit der Hardekopfschen Poesie, ihr Anti-Pathos, nicht so deutlich wie in anderen Gedichten von ihm. Ein Beispiel („Notiz“): Nach einer detaillierten Beschreibung (hier in freien Versen) einer zerrütteten Nacht, nah am Wahnsinn, die folgenden letzten Prosazeilen: „ … Übrigens bin ich durchaus imstande, den Ablauf solcher Empfindungen brüsk zu unterbrechen, `Amerikanismus’ anzuordnen und, mit einer Zigarette, kühlsten Herzens weiterzulesen in Henrì Beyles  ‚Le Rouge et le Noir’. Selbstverständlich. / Die Lampe brennt ja noch“.

Das darf man nicht unterschlagen: Im Kontext eines genuin ironischen Werks empfindet der Leser manchmal auch die „ernsten“ und „ernstgemeinten“ Passagen als ironisch. Mit anderen Worten: Missverständnisse gibt es im Terrain der Lyrik immer (manches lebt davon). Und im kanonisierten Werk der großen Dichter findet man gelegentlich auch „Unfreiwilliges“, unfreiwillige Komik, unfreiwilliges Pathos, auch unfreiwillige Ironie. Manchmal ist eben der Empfänger sensibler, aufmerksamer als der Sender.

Bei allem, was man über Gedichte lesen und schreiben kann, sollte man sich daran erinnern, dass Lyrik eine „Spezialdisziplin“ ist (Nooteboom), eine Angelegenheit der Spezies „Sprachmenschen“, und die ist nicht sehr verbreitet.

 

 

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Der Lyriker, Essayist und Aphoristiker Maximilian Zander veröffentlichte seit Mitte der 1990er-Jahre Gedichte und Aphorismen. Seine lakonischen (immer wieder auch metalyrischen) Gedichte, die u. a. in Literaturzeitschriften wie ndl, Muschelhaufen, Faltblatt und Anthologien wie Axel Kutsch, Versnetze (2005) oder Theo Breuer, NordWestSüdOst (2003) sowie in bislang vier Gedichtbänden erschienen, setzen sich auf ironisch-distanzierte Art und Weise mit Alltag und Gesellschaft aus der Sicht eines welterfahrenen Menschen auseinander.

Weiterführend →

Lesen Sie auch seinen Essay über Lyrik.

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