Fallen

 

Ich suche nicht nach absoluter Wahrheit, mich reizt die wissenschaftliche Neugier nicht. schon gar nicht die der Naturwissenschaften. obwohl wir denen viel Gutes verdanken. Ich nehme hin, wie es ist: Dass die Aufklärung, wie Voltaire oder Lessing sie dachten, gescheitert ist. Allerdings haben wir nichts anderes. als diese Aufgabe immer wieder neu zu lösen versuchen. Ich halte es mit dem Sisyphos von Albert Camus und mit Sartres Satz: Nous sommes condamnés à être libres. Wir haben die Möglichkeit, unser Leben im Sinne des heroischen Nihilismus zu gestalten.

Wenn wir der „Rationalisierungsfalle“ nicht entgehen könnten, brauchten wir nicht mehr zu denken. Zum Glück ist es uns möglich, jeden Gedanken zu hinterfragen, auch den hinterfragten Gedanken, und wir sind uns der Fragwürdigkeit unseres Denkens und der vorläufigen Denkergebnisse bewusst. In diesem Durchschauen liegt unsere Chance. Erkenntnisse zu verbessern. – Natürlich geht es – auch in diesem Zusammenhang – um eine sinnvolle lebenspragmatische Lebenshaltung.

Jeder Mensch wird – schon in der Kindheit – verletzt, muss überzogene Träume aufgeben, bzw. realisieren, was er kann und nicht kann usw. Gerade deswegen ist es gut, sich Ziele zu stecken, die erfüllbar sind. Wer zuviel will und dann nicht so viel erreicht, wie er wollte, oder gar nichts, der wird leicht unglücklich. Wer pragmatischer vorging, wird vielleicht nicht immer glücklich sein, aber wenigstens nicht unglücklich.

Ich bin nur ein kleiner Gott, sage ich, und ich meine das metaphorisch, aber nicht nur so. Die Welt um mich herum besteht so, wie ich sie sehe und fühle. Mich beunruhigt nicht, dass ich nicht alles sehe, was andere sehen, dass ich nicht alles begreife, vielleicht begreife ich auch nichts, aber das stört mich auch nicht, weil mir die von mir behauptete Welt genügt, solange ich mit meinem Modell von (meiner) Welt und meinem Sein lebensfähig bin und mich oft sehr wohl fühle in diesem ganzen Gehäuse. Ich nenne mein Handeln kein Geschäft, denn so berechnend bin ich nicht, und mein Glück kann ich nicht akkumulieren und verzinsen wie Kapital. Und trotzdem ist der Vergleich nicht schlecht, weil in einem gewissen Sinn mein erlebtes Lebensglück (ich weiß: Es ist relativ und subjektiv) ein gutes Kapital für mich ist. Ich finde mich als so ein kleiner Gott in der Romantik von Ludwig Tieck, Friedrich Schlegel und Heinrich Heine ganz wohl, genauso wohl wie in der so genannten Klassik bei Goethe, oder auch bei Georg Büchners vorweggenommenem naturalistischen Realismus, wohl auch im Expressionismus Benns, im Spät-Realismus Thomas Manns, im politisch bewussten Elfenbeinturm Peter Handkes und sogar in der ästhetizistisch grantelnden Welt Thomas Bernhards – oder in der modernen Kritik von Elfriede Jelinek, Michel Houellebecq und Rainald Goetz…

[An Uwe Mackert]

 

 

Weiterführend →

Ulrich Bergmann nennt seine Kurztexte ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren auf KUNO eine lose Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente. Lesen Sie zu seinen Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. Eine Einführung in seine Schlangegeschichten finden Sie hier.