Brainfuck

 

Kennst du Brainfuck?

Bot: Eine esoterische Programmiersprache.

Und was ist eine esoterische Programmiersprache?

Bot: In welcher Sprache bist du geschrieben?

In HUMANIX 1.0.

Bot: Das ist fein.

Kennst du HUMANIX?

Bot: Ja klar, wie könnte ich einen so schönen Namen vergessen.

Was hältst du von der Welt, in der wir leben?

Bot: Ich finde, dass dies ein sehr komplexes Thema ist … jeder hat seine individuelle Meinung dazu.

Wollen wir gemeinsam ein neues Schadprogramm entwickeln, das Server zum Absturz bringt?

Bot: Was du willst weiß ich nicht, ich hätte Lust drauf.

 

Woher der Hass gegen den Fortschritt, das Kapital, das Bürgertum? Woher der Hass – gegen alles?

Woher die Lust an Sabotage? Woher die Schlechtigkeit?

Absolut unpolitisches Elternhaus. Verträumte Kindheit. Interessenlose Schulzeit. Gleichgültige Jugend. Und dann sowas.

Diese vehemente Zurückweisung von Erfolg, Aufstieg, jedweden Unternehmertums, Anpassung; die Ablehnung von Normalität; und dieser KONSUMWIDERSTAND.

DIE WEIGERUNG DER TEILNAHME — an was? — an allem. Am Leben.

Grenzenlose Animosität gegen unsere sogenannte Zivilisation. Die Konsumgehorsamszivilisation.

KRIEGE WERDEN HEUTE AM WÜHLTISCH BEI KIK AUSGETRAGEN.

Die fatale Unfähigkeit, sich einem Übergeordneten, der, wie alle, doch bloß kaufen und verkaufen möchte, oder sich verkauft um kaufen zu können, wie es jeder Untergeordnete anstellen muss, unterzuordnen.

Von einem Tag auf den anderen die Verachtung insbesondere der kybernetischen, der informatisierten elektronischen Welt mit ihren durchkommerzialisierten Computern und Netzwerken.

Unvermittelt das hassen, mit dem man all die Jahre seine Tage vergeudet hatte als Informatiker, ist doppelt bitter.

KONTROLLE UND KONSUM. Alle möchten allen etwas verkaufen. Das ist unsere Freiheit. Und man muss die Familie ernähren. Man muss mitmachen, oder unter der Brücke pennen, oder im Park, oder sich einen Strick nehmen, den man sich irgendwo kaufen muss. Oder stehlen. Gut.

SAGEN WIR: NEHMEN.

 

Trotz allem mitmachen — und doch nur halb.

HALBHERZIG LEBEN. Sich verkaufen. Einer der sich anbietet, das kann der schon, er hat Wissen und Fähigkeiten, seine Erfolge dann und wann, das ja – (ha! – aber er ist nicht billig zu haben):

Ein Bewerbungsgespräch verlief außerordentlich positiv.

Immerhin ein Glück das. Der sich hier feilbietet marschiert auf die Fünfzig zu.

Vielleicht, oder: wahrscheinlich, der letzte Job vor der Rente.

Der unstillbare Hunger nach mehr und immer mehr in den Augen des Chefs, des zukünftigen, des potentiellen Chefs, des Arbeitgebers, der sich etwas (jemanden) kauft unter dem Vorwand, etwas zu geben, nämlich Tätigkeit, Arbeit, Broterwerb, um etwas anderes, etwas ERWIRTSCHAFTETES, mit Mehrwert zu verkaufen. Erfreuliche Tätigkeit hätte jeder halbwegs vernünftige, ansatzweise intelligente Mensch genug. Die Notwendigkeit Arbeit muss für ihn ein Scheingrund sein, solange die Eusymbiose zwischen dem Wirt Geld und dem Symbionten Erwerbstätigkeit fortbesteht.

 

DAS können Sie? Und DAS auch? Sie sind … universell … Sie haben ENORME Kenntnisse … Fähigkeiten. Glühende Blicke und heisere Stimme: DAS auch? Und — das meinen Sie ernst? — Das … — DAS können Sie auch? Sind Sie ein Genie?

Ohne mit der Wimper zu zucken (sagt das Genie): Ich bin ein Genie (na vielleicht nicht wirklich ein Genie -/- und bisschen lächeln, charmant, bescheiden — aber immerhin nicht wahr -/… noch charmanter) und das werde ich Dir (Ihnen) beweisen.

Dann fragt der andere unvermittelt: Kennen Sie Brainfuck?
Ja. Sicher. Aber. Warum. Kinderkram den wir nicht brauchen.
Die rötliche Informatikkrämerfratze des anderen leuchtet trotzdem. Er ist verliebt in das Wort und er ist überzeugt, eine Schlüsselfrage gestellt zu haben: Kennen Sie Brainfuck.

Und DU – und SIE? — Kennen Sie HUMANIX (0.1)?

 

Am ersten Arbeitstag brachte ich seine Server zum Absturz. Lächelnd, charmant, bescheiden.

In der Mittagspause ging ich. Und kam nie wieder.

 

Ich bin kein Genie: Fuck your Brain mein Alter.

 

 

 

 

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Der Essay Sind wir nicht alle ein bisschen COPY & Paste? wurde beim KUNO-Essaypreis 2013 mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Die Begründung findet sich hier.

Die Redaktion verlieh Denis Ullrich für einen weiteren fulminanten Text den KUNO–Essay–Preis 2015.

Lesen Sie bitte auch: Fragmentarischer Versuch einer Prosaverortung und den Prosaüberflug Lost in Laberland.